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Wer zu schnell einstellt, riskiert frühe Absprünge

Bevor ein Arbeitsvertrag unterschrieben wird, sollten sich beide Seiten richtig kennengelernt haben.

Bevor ein Arbeitsvertrag unterschrieben wird, sollten sich beide Seiten richtig kennengelernt haben.

Quelle: stock.adobe.com, Urheber: djile

Karriere 27.04.2023
Wenn passende Kandidaten rar sind, aber Stellen dringend besetzt werden müssen, machen Arbeitgeber Kandidaten oft überhastet ein Angebot. Doch das kann sich rächen. Denn so schnell der Vertrag ... 

Wenn passende Kandidaten rar sind, aber Stellen dringend besetzt werden müssen, machen Arbeitgeber Kandidaten oft überhastet ein Angebot. Doch das kann sich rächen. Denn so schnell der Vertrag besiegelt wurde, so schnell löst sich das Arbeitsverhältnis mitunter wieder auf. Das Phänomen nennt sich "Blind Signing" und kann dazu führen, dass noch mehr Zeit vergeht, bis eine Position final besetzt ist.

Wenn das Angebot klein, die Nachfrage aber groß ist, heißt es schnell sein. Wenn es aber um Personal geht, kann sich übereiltes Handeln im Nachhinein als Fehler entpuppen. Und der kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit beim Besetzen von offenen Stellen. Wer etwa dringend einen IT-Architekten, einen Compliance-Verantwortlichen oder einen technischen Asset-Manager benötigt, der schaut vielleicht auch nicht ganz genau hin, ob der verfügbare Kandidat perfekt auf die Stelle und ins Unternehmen passt, sondern bietet gleich einen Anstellungsvertrag an. "Blind Signing" nennt sich dieses neue Phänomen eines in vielen Bereichen überspannten Arbeitsmarkts. Fehlt es an ausreichender Bedenkzeit, kann sich das aber rächen – indem eine oder beide Parteien erst nach Stellenantritt merken, dass es doch nicht passt, und sie sich rasch wieder trennen.

"Blind Signing" kostet Zeit und Geld

Immobilienunternehmen, die Personalberaterin Kerstin Fuchs von Numeris Consulting damit beauftragen, passende Kandidaten zu finden, gehen die Auswahl in der Regel schon sehr sorgfältig an. Dennoch ist auch ihr Blind Signing bekannt: "Wenn Arbeitgeber über uns nach Talenten suchen, haben sie teils genau diese Geschichte hinter sich: Kandidaten haben sie geghostet – also einen Vertrag unterschrieben und die Stelle dann ohne Absage nicht angetreten – oder sind nach kurzer Zeit im Job abgesprungen oder abgeworben worden." All das komme heute ziemlich häufig vor. Und auch, dass Arbeitgeber zu wenige Fragen stellen, sich übereilt für eine Besetzung entscheiden. Das hat den Grund, dass den Einstellenden sehr bewusst ist, wie umkämpft Talente sind. "Denen ist klar, dass der Bewerber wahrscheinlich noch fünf andere Angebote auf dem Tisch hat. Deshalb wollen sie den Sack möglichst schnell zumachen", weiß die Beraterin. Zudem gibt es unternehmensintern in diesen begehrten Bereichen oft Leerstellen, die sich auch auf das Geschäft auswirken. Wenn jemand kündigt, muss also möglichst schnell Ersatz her. Und warum lassen sich gesuchte Fachkräfte auf die schnelle Vertragsbesiegelung ein? "Die wissen, dass sie gefragt sind – und jederzeit auch wieder etwas anderes finden, wenn ihnen der Job doch nicht zusagt", sagt Fuchs.

Headhunter Szymon Kedzierski von Fred Executive Search hat die Erfahrung gemacht, dass die Not vor allem bei spezialisiertem und erfahrenem Fachpersonal hoch ist, also bei der Besetzung von raren Experten beispielsweise im technischen Asset-Management. Bei Seniors ginge es oftmals schneller mit der Vertragsunterschrift, sagt er. "Zum einen, weil sie bei der Vertragsverhandlung unkomplizierter sind. Zum anderen aber auch, weil sie eher wissen, was sie können und ob ihr Profil mit dem Gesuch übereinstimmt." Das Risiko bleibt trotzdem: Denn wenn es dann doch nicht passt, wird es fürs Unternehmen teuer, wenn die hoch vergütete Position nach dem aufwändigen Suchprozess und der kostspieligen Einarbeitungszeit schon wieder frei wird.

Dass trotz Arbeitsvertrag Stellen gar nicht erst angetreten werden, weil die frisch Eingestellten dann doch einen Rückzieher machen, beobachtet Kedzierski vor allem auf dem Junior-Level. "Das hat aber nicht immer unbedingt damit zu tun, dass man sich überhastet füreinander entschieden hat", sagt er. "Im Gegenteil: Gerade junge Menschen schauen Verträge oft sehr sorgfältig durch und haben diverse Fragen und Änderungswünsche." Nicht selten komme es vor, dass der künftige Arbeitgeber noch einmal nachjustieren müsse, bevor sie unterzeichnen.

Damit Unternehmen nicht die sprichwörtliche Katze im Sack kaufen, sollten sie den direkten Austausch suchen. "Gerade seit der Pandemie ist es üblich geworden, Vorstellungsgespräche über Videocalls abzuhandeln", sagt Beraterin Fuchs. "Ich rate unbedingt zu einem persönlichen Treffen, um abzuklopfen, ob man zusammenpasst." Schließlich muss ja nicht nur die Qualifikation stimmen. Stattdessen muss ein Kandidat auch ins Team passen und sich mit der Unternehmensphilosophie identifizieren können.

Aber wie viele Gesprächsrunden darf es geben? Schließlich will man gerade High-Level-Talente nicht mit aufgeblähten Prozessen vergraulen. "Bei den meisten Positionen sind drei Runden ausreichend, um herauszufinden, ob es passt", sagt Headhunter Kedzierski. Mit dem direkten Vorgesetzten und jemandem aus dem Personalmanagement, aber auch mit einem Mitglied aus dem betreffenden Team: "Dieser Schlenker ist enorm wichtig. Denn häufig scheitert ein Arbeitsverhältnis nach einigen Monaten daran, dass die Atmosphäre im Team nicht gestimmt hat", betont Kedzierski.

Bei großen und internationalen Immobilienunternehmen besteht oft allerdings das Problem, dass kein schnelles Go gegeben werden kann, obwohl eine Idealbesetzung gefunden wurde. Wenn der Betriebsrat oder die Kollegen in den USA erst ihren Segen geben müssen, dann kann es dauern mit der Unterschrift.

Kedzierski hatte kürzlich einen solchen Fall auf dem Tisch: Der Kandidat drängte auf eine Vertragsvorlage, hatte bereits mehrere andere Zusagen bekommen und musste sich schnell entscheiden. Was hilft in solchen Situationen, wenn der interne Prozess nicht beschleunigt werden kann? "Man sollte auf jeden Fall in persönlichem Kontakt bleiben, dem Kandidaten am Telefon signalisieren, dass man sehr interessiert ist. Und transparent machen, woran es intern noch hakt, dass es sich zum Beispiel nur noch um Formalia handelt", sagt Beraterin Fuchs. Auf keinen Fall: eine standardisierte E-Mail verschicken, man werde sich in zwei Wochen melden. Denn dann ist das Talent unter Umständen schon wieder vom Markt.

Dass Verträge blind unterschrieben werden, weil sich beide Parteien zu sehr darauf ausruhen, sich während der Probezeit unkompliziert wieder trennen zu können, erleben Fuchs und Kedzierski übrigens nicht. "Für Unternehmen ist der Recruiting-Prozess kostspielig und zeitaufwändig, das wäre eine schlechte Strategie", sagt Kedzierski. Und auch Arbeitnehmer haben kein Interesse daran, sich ihre Lebensläufe zu zerfasern. Dennoch sei die Bereitschaft zu einem schnellen Wechsel oder dem Verbleib beim bisherigen Arbeitgeber in den vergangenen Jahren gewachsen. Und auch wenn der Arbeitsmarkt in der Immobilienbranche sich nach den Boomjahren nun langsam wieder entspannt: Noch besteht ein Kandidatenmarkt und damit ein großer Zeitdruck, Fachkräften schnell zuzusagen. "Blind Signing wird wahrscheinlich zunehmend ein Thema werden", ist Fuchs überzeugt.

Die Autorin: Anne Hünninghaus ist Journalistin bei der Wirtschaftsredaktion Wortwert.

Anne Hünninghaus