Der offene Umgang mit Kritik gilt im Berufsalltag als Zeichen des Vertrauens unter Kollegen und zu Vorgesetzten. Die List-Gruppe bietet deshalb moderierte Gespräche mit Coaches an, um ...
Der offene Umgang mit Kritik gilt im Berufsalltag als Zeichen des Vertrauens unter Kollegen und zu Vorgesetzten. Die List-Gruppe bietet deshalb moderierte Gespräche mit Coaches an, um Probleme in offener Runde schnell zu lösen und so die Zufriedenheit in den Teams zu steigern. Bei LEG Immobilien werden Rückmeldungen und Wünsche in den Alltag integriert. Dazu werden Mitarbeiter schon bei ihrem Onboarding animiert.
Karoline Donaubauer arbeitet in einer Personalabteilung – hat aber mit der klassische HR-Arbeit gar nicht viel zu tun: Sie wurde als Coachin bei der List-Gruppe angestellt. Die kleine Abteilung "Coaches" hat sich in dem rund 600 Mitarbeiter starken Unternehmen auf Feedbacks und Reflexionsprozesse spezialisiert. Sie agiert also abseits von strukturierten Jahresdialogen und Review-Gesprächen nach dem Onboarding oder der Probezeit. Stattdessen kümmert sich Donaubauer zusammen mit einer Kollegin um alles, was über das Fachliche hinausgeht: "Wir möchten den Menschen und den Teams Raum und Zeit geben, um sich mit zwischenmenschlichen Fragen zu beschäftigten", sagt sie.
Dafür bietet sie Workshops an, in denen sich alles um die Zusammenarbeit mit Kollegen dreht. Prozesse werden diskutiert, die im Team etabliert werden könnten, und die Rollen einzelner Abteilungen für das Gesamtunternehmen werden reflektiert. Das hat sich im Unternehmen schnell herumgesprochen. Die Nachfrage nach Workshopterminen ist so groß, dass die Wartezeit inzwischen vier bis acht Wochen beträgt.
Doch die Sitzungen führen zum Teil dazu, dass ganz neue Routinen im Unternehmen angestoßen werden, so zum Beispiel Kick-offs für Baustellenteams und Baustellenretrospektiven, die die Coaches moderieren. Gibt es eine neue Baustelle, werden in einem Workshop zuerst die Rollen innerhalb des zuständigen Teams geklärt und Prozesse abgesprochen, erzählt Donaubauer.
In der Retrospektive sitzen alle beteiligten Teams – oft um die zwölf Mitarbeiter aus Vertrieb, Projektleitung, Bauleitung und After Sales – mehrere Stunden zusammen und besprechen: Was lief gut? Was nicht? "Am Anfang schweigen die Leute, sind eher skeptisch", sagt Donaubauer. Wenn es um Kritik geht, müsse erfahrungsgemäß immer zuerst einer die Bombe platzen lassen. Das sei meist die Projektleitung. "Danach öffnen sich alle anderen auch und es wird spannend."
Die Ergebnisse werden unternehmensweit zur Verfügung gestellt. Zuletzt kam etwa heraus, dass der Projektleiter bestimmte Informationen nicht rechtzeitig vom Vertrieb bekommen hatte. Ein wiederkehrender Termin für Nachfragen löste das Problem.
Aufgeschobene Kritik sorgt für schlechte Laune
Klartext sprechen ist jedoch oft schwer und nicht alle Unternehmen haben ein etabliertes Feedbacksystem oder einen Coach, der die Gesprächsrunden moderiert. Deswegen ist es wichtig, dass Führungskräfte darin geschult werden, konstruktiv und wertschätzend mit ihren Teams zu sprechen. Die freie Beraterin Theresa Maxeiner hat in ihrer Arbeit hunderte Führungskräfte und auch Arbeitnehmer genau darin gecoacht. Ihr Tipp: Finger weg vom berühmten Feedback-Sandwich. Das ist eine Methode, die Kritik zwischen zwei nette Aussagen verpackt. Maxeiner hat das Sachbuch "Danke für nix" geschrieben. Ihrer Erfahrung nach empfinden die meisten Menschen das Lob nicht als Wertschätzung, sondern eher als Warnung, dass da gleich eine verbale Ohrfeige kommt.
Ihr Fazit: Wenn Feedback konstruktiv formuliert wird, braucht es dieses Sandwich nicht. Mittlerweile gibt es für Feedback nämlich einen noch passenderen Begriff: "Feedforward". Der Fokus liegt nicht mehr darauf, was in der Vergangenheit hätte besser laufen können, sondern auf klaren Erwartungen für die Zukunft.
Um eine Erwartung deutlich zu formulieren, müssen drei Dinge voneinander getrennt werden: Eine Beobachtung wie "Als ich gestern das Meeting geleitet habe, hast du häufig mit deiner Sitznachbarin gesprochen", eine Wirkung wie "Dadurch habe ich mich nicht wertgeschätzt gefühlt" und ein Wunsch für die Zukunft, der am Ende stehen sollte. Er kann lauten: "Ich freue mich, wenn du dem Team und mir in einem Meeting deine Aufmerksamkeit schenkst." Maxeiners Rat: Damit Feedbackgespräche nicht per se als Bedrohung wahrgenommen werden, lohne es sich, gute Leistungen im Alltag zu loben, Erwartungen direkt zu formulieren, Feedback also spontan zu geben und nicht nur im Rahmen von festgelegten Terminen. Führungskräfte sollten ihr Team zudem stets konkret nach Feedback fragen. Dabei sollten sie Mitarbeiter dazu auffordern, einen Punkt zu benennen, den sie gut finden, und einen weiteren, den sie für verbesserungswürdig halten.
"In manchen Unternehmen wird ständig um den heißen Brei geredet", weiß die Feedback-Expertin. Sie kennt Fälle, in denen mäßige Ergebnisse und schlechte Zusammenarbeit totgeschwiegen oder monatelang bis zu einem Jahresgespräch unterdrückt werden. Dabei gehöre Feedback in den Joballtag. Offene Kritik durch Mitarbeiter sollten Vorgesetzte als ein Zeichen für Vertrauen sehen, sagt Maxeiner. Sie zeige, dass die Mitarbeiter keine Angst vor negativen Konsequenzen haben, wenn sie ehrlich sind. Zudem könne durch spontanes Feedback viel Schlechtes aus dem Weg geräumt und eine brodelnde Gerüchteküche vermieden werden. Maxeiner rät deshalb vor allem Führungskräften dazu, sich für die Offenheit von Mitarbeitern auch zu bedanken.
Spontane Rückmeldungen gibt auch Kerstin Wrobel. Sie ist Leiterin Personal beim fast 2.000 Mitarbeiter starken Wohnungsunternehmen LEG Immobilien mit Sitz in Düsseldorf. Wrobel findet regelmäßiges Feedback in kurzen Gesprächen essenziell. Schon beim Onboarding werden Führungskräfte im Unternehmen deshalb sensibilisiert, dass Feedback konkret, respektvoll und konstruktiv erfolgen soll. Besonders wichtig ist es Wrobel, dass unter Kollegen auch negative Kritik ausgesprochen wird, und er fordert selbst Rückmeldungen ein.
Die LEG-Personalerin bittet zum Beispiel nach jedem Bewerbungsgespräch die anwesende Führungskraft um Rückmeldung zu ihrer eigenen Gesprächsführung. Eine Antwort, die sie weitergebracht hat, war: "Ich fand gut, wie du die Benefits vorgestellt hast, aber bei der Vorstellung unseres Unternehmens hätte ich gern mehr Redeanteil gehabt." Künftig achtet die Personalleiterin also darauf, dass sich die jeweiligen Fachkräfte den Bewerbern intensiver selbst vorstellen können.
Die Autorin: Jeanne Wellnitz ist Journalistin bei der Wirtschaftsredaktion Wortwert.