"Der Bestand läuft irgendwann leer"

Robert Feiger.
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Robert Feiger, Bundesvorsitzender der IG Bau, blickt mit Sorge auf die Auftragslage im Hochbau und warnt vor dem "Gastro-Effekt", sollte die von der Baukrise geschüttelte Branche Stellen abbauen. Von der Politik erwartet der Gewerkschaftschef deutliche finanzielle Weichenstellungen. Nicht viel geringer ist allerdings auch seine Erwartungshaltung gegenüber den Arbeitgebern bei den im kommenden Jahr anstehenden Tarifverhandlungen am Bau.
Immobilien Zeitung: Herr Feiger, die Baubranche verzeichnet starke Einbrüche bei den Auftragseingängen, zahlreiche Projektentwickler sind in die Insolvenz gerutscht. Wie schätzen Sie kurz- und mittelfristig die Lage auf dem Arbeitsmarkt für die baunahen Branchen ein?
Robert Feiger: In der Tat befindet sich die Bauwirtschaft gerade in einer zunehmend schwierigen wirtschaftlichen Lage, aber die ist differenziert zu sehen. Durch die hohen Baupreise und die hohen Zinsen können sich viele Menschen keine eigene Wohnung oder ein eigenes Haus mehr leisten und auch Wohnungsunternehmen stellen ihre Neubauprojekte vermehrt zurück. Vor allem deshalb fehlt es im Hochbau an neuen Aufträgen. Noch stehen Aufträge in den Büchern, aber der Bestand läuft auch irgendwann leer. Ganz anders sieht es jedoch bei Infrastrukturprojekten aus: Straßen, Schienen, Brücken und anderes mehr müssen erneuert und gebaut werden. Da kann das Arbeitsvolumen derzeit gar nicht bewältigt werden, da ist noch viel Luft nach oben.
IZ: Sehen Sie Bewegungen bei den Beschäftigungszahlen?
Feiger: Im August ist die Zahl der Arbeitslosen im Bauhauptgewerbe gegenüber dem Vorjahr nur moderat gestiegen. Dieser Trend könnte sich im ungünstigsten Fall weiter verstärken. Dennoch rechnen wir nicht mit einer sehr hohen Arbeitslosigkeit in der Baubranche. Denn wir haben schon seit langem einen demografisch bedingten Fachkräftemangel zu verzeichnen, der durch die aktuellen Entwicklungen auch nicht verschwinden wird.
"Noch stehen Aufträge in den Büchern"
IZ: Besteht also nicht die Gefahr, dass langfristig wieder Arbeitskräfte fehlen werden, wenn jetzt aufgrund der wirtschaftlichen Situation in den Betrieben gespart und abgebaut wird?
Feiger: Wir warnen schon seit langem davor, viele Arbeitsplätze einfach abzubauen. Denn sonst erleben wir auch in der Baubranche den sogenannten "Gastro-Effekt". In der Gastronomie sind die Beschäftigten irgendwann gegangen und nicht wieder zurückgekommen, weil sie in anderen Branchen bessere Arbeitsbedingungen vorgefunden haben. Das könnte auch in unserer Branche passieren. Deshalb erstens: keine Entlassungen im großen Stil, und zweitens müssen die Arbeitsbedingungen möglichst so gestaltet werden, dass die Bauarbeiter:innen ihren Beruf gerne ausüben und dabei auch möglichst lange gesund bleiben.
IZ: Würden Sie sich von der Politik mehr Engagement zur Unterstützung der Branchen wünschen, um die Auftragseinbrüche abzufedern?
Feiger: Auf jeden Fall muss das Engagement deutlich intensiviert werden. Wir brauchen beispielsweise ein Sondervermögen in Höhe von 50 Mrd. Euro, um genügend Sozialwohnungen bis zum Jahr 2025 zu bauen. Und weitere 22 Mrd. Euro sind noch in dieser Legislaturperiode notwendig, um auch Wohnungen zu erstellen, die für Menschen mit mittleren Einkommen bezahlbar sind. Auch plädieren wir schon seit langem für eine echte Wiederbelebung der Wohngemeinnützigkeit, wie sie übrigens auch im Koalitionsvertrag der Ampelregierung zu finden ist. Der Staat sollte auch seine Anteile bei Wohnbaugesellschaften so erhöhen, dass er sie weg von Profitinteressen und hin zu einer sozialen Ausrichtung lenken kann.
IZ: Und was noch?
Feiger: Es sind Maßnahmen gefragt, die helfen, kostengünstigeres Bauen zu ermöglichen. Beispielsweise die avisierten Sonderabschreibungsmöglichkeiten, bei denen aber leider keine Mietpreisbegrenzungen vorgesehen sind. Einen Beitrag leistet auch die verstärkte Förderung des Umbaus bestehender Immobilien. Es muss auf jeden Fall etwas geschehen, bevor der Hochbau ganz zum Erliegen kommt. Alles, was jetzt nicht finanziell auf den Weg gebracht wird, wird später doppelt so teuer.
IZ: Auch abgesehen von der aktuellen wirtschaftlichen Situation lastet ein großer Veränderungsdruck auf der Baubranche – alleine aufgrund der gewachsenen energetischen Anforderungen an die Gebäude. Reicht die aktuelle Weiterbildungsförderung aus?
Feiger: An der Stelle würden wir uns noch viel mehr wünschen. Der energetische Ausbau ist komplex und verlangt viel neues Know-how. Doch leider gibt es derzeit meist nur "kostengünstige Schnellschulungen" der Hersteller. Darin wird aber nur die Montage einzelner Produkte erklärt, aber nicht die notwendigen, umfassenderen Kenntnisse zu Thermik und Bauphysik, Brandschutz oder Entlüftung. Wenn dann noch unqualifizierte und nichttarifgebundene Firmen am Werk sind, gibt es schnell Pfusch am Bau. Das schadet wiederum dem Ruf in der Branche. Deshalb muss es tarifvertragliche Regelungen zur Weiterbildung und eine Stärkung der beruflichen Ausbildung unter Beteiligung der Gewerkschaften geben. Und wir dürfen bei alldem die vielen kleineren Unternehmen nicht vergessen, die das alleine gar nicht stemmen können.
IZ: Nächstes Jahr steht die nächste Tarifrunde im Bau an. Mit welchen Erwartungen werden Sie in die Verhandlungen gehen und welche Rolle wird die aktuelle wirtschaftliche Situation dabei spielen?
Feiger: Wir gehen mit den Erwartungen in die Verhandlungen, wie wir sie immer haben. Das Leben ist in nahezu allen Belangen für die Menschen deutlich teurer geworden, und dass muss sich bei Lohn und Gehalt auch niederschlagen. Unsere Formel lautet deshalb Inflationsausgleich plus X. Unsere letzten Tarifverhandlungen liegen schon zwei Jahre zurück, in der Zeit haben die Mieten, die Energiekosten, die Lebensmittelpreise und vieles andere mehr ziemlich angezogen. Zudem ist mir nicht bekannt, dass in der Boomphase am Bau die ausgehandelten Tariferhöhungen schwindelerregend hoch waren.
IZ: Herr Feiger, vielen Dank für Ihre Antworten.
Das Interview führte Robin Göckes.