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Die Baturina

Aufgewachsen in der Sowjetunion, hat man ihr beigebracht, dass das Kollektiv immer Recht hat. „Doch das Gegenteil ist der Fall, nicht das Kollektiv hat Recht, sondern das Individuum.“

Aufgewachsen in der Sowjetunion, hat man ihr beigebracht, dass das Kollektiv immer Recht hat. „Doch das Gegenteil ist der Fall, nicht das Kollektiv hat Recht, sondern das Individuum.“

Bild: Christof Mattes

Köpfe 17.07.2013
Ihr Mann Juri Luschkow regierte als mächtiger Bürgermeister von Moskau. Sie selbst leitete viele Jahre erfolgreich einen Baukonzern. Bis sie in den Sog politischer Machtspiele geriet. ... 

Ihr Mann Juri Luschkow regierte als mächtiger Bürgermeister von Moskau. Sie selbst leitete viele Jahre erfolgreich einen Baukonzern. Bis sie in den Sog politischer Machtspiele geriet.

Sie kamen mit Maschinengewehren und maskiert. Zu fünfzehnt stürmten sie in Tarnanzügen am 17. Februar 2011 das Bürogebäude am Nikitiski Pereulok 5 in der Moskauer Innenstadt, weniger als einen Kilometer vom Bolschoi Theater entfernt. Gegen 10 Uhr verriegelten die Männer die Zugänge zu den Räumen. Ihr Ziel: Geschäftsunterlagen des Bau- und Immobilienkonzerns Inteko. „Diebstahl von 13 Milliarden Rubel" (318 Millionen Euro) lautete der Vorwurf aus dem Innenministerium gegen die Firmeninhaberin Elena Nikolaewna Baturina – nach Forbes-Liste die mit 1,1 Milliarden US-Dollar reichste Frau Russlands, von der es heißt, sie kontrolliere ein Viertel des Moskauer Wohnungsbaus.

Heute lebt und arbeitet Baturina zumeist in London. In Russland war sie schon länger nicht mehr. Wenn sie Lust auf Borschtsch hat, kocht sie sich welchen, und Wodka mag sie ohnehin nicht. „Mir fallen nicht viele Gründe ein, warum ich zurück nach Moskau fahren sollte. Aber ich könnte es", meint die Wahl-Britin und sitzt dabei etwas zu aufrecht.

Noch ein knappes halbes Jahr vor der Razzia wäre ein solcher Überfall undenkbar gewesen. Denn Baturina ist nicht nur reich, sondern auch mit Juri Luschkow verheiratet, jenem Mann, der 18 Jahre lang als Bürgermeister über Moskau herrschte und Anfang des Jahrtausends als aussichtsreicher Kandidat für das russische Präsidentenamt und möglicher Nachfolger von Boris Jelzin gehandelt wurde. Erster Mann im Staate wurde dann aber doch Wladimir Putin – mit Luschkows Unterstützung. Allerdings brachte der inzwischen 77-jährige Schirmmützenträger den 2008 angetretenen Nachfolger Putins, Dimitrij Medwedew, mit Kritik an dessen Führungstil erheblich gegen sich auf. Medwedjew holte zum Gegenschlag aus, im Sommer 2010 waren Zeitungen und Fernsehen voll mit Vorwürfen gegen Luschkow und seine Amtsführung: Er hätte versagt beim Kampf gegen das Moskauer Verkehrschaos und gegen die verheerenden Waldbrände, unzählige historische Gebäude hätte er abreißen lassen, um die Stadt nach seinem Willen umzubauen, und immer wieder fiel das Stichwort Korruption. Einen Rücktritt verweigerte Luschkow zwar, den Machtkampf mit dem Kreml verlor er dennoch. Ende September 2010 feuerte Medwedew den Bürgermeister.

Das traf auch seine Ehefrau Elena Baturina und ihr Bauimperium. Inteko geriet mitten hinein in den politischen Strudel. Die Medien berichteten über sie und schrieben ihren Aufstieg der Korruption und ihrer Position als Ehefrau von Luschkow zu. „Gibt es einen neuen Fall Chodorkowksi?", hieß es drohend in einer Schlagzeile. Für Putin war Luschkow vor allem der Garant für stabile Macht- und Stimmenverhältnisse im Zentrum seines Reichs und in der Stadtduma. Grund genug ihn – im Gegensatz zu anderen Gouverneuren – lange im Amt zu halten. Aber nicht Grund genug, sich in dem Konflikt vor ihn zu stellen. Befreundet seien sie nie gewesen, erzählt Baturina: „Ich habe mich immer von allen Offiziellen distanziert."

Elena Baturina wächst mit ihren Eltern und ihrem Bruder in einer Zweizimmerwohnung in einem sowjetischen Plattenbau auf und besucht Schule Nr. 899. „Mir war klar, dass ich, um etwas im Leben zu erreichen, eine Universität besuchen musste." Da ihre Familie nicht wohlhabend ist, verdingt sie sich in der Fabrik, in der auch Mutter und Vater tätig sind. In ihrer Freizeit studiert sie. Ihr erstes Geld gibt sie für eine über 3.000 Rubel teure Küche und für ein „ungeheuer teures Schlafzimmer aus Rumänien für 6.800 Rubel" aus, die sie über sechs Monate von ihrem Gehalt abstottert.

Elena ist 26 Jahre alt, als sie 1989 Inteko gemeinsam mit ihren Bruder Wiktor gründet. Ihr erster großer Auftrag besteht aus Plastikgeschirr für die einheimische Fastfood-Kette „Russkoje Bistro", wofür das Geschwisterpaar eigens eine Fabrik errichtet. Im Baugeschäft sind sie noch nicht. Beim einem der nächsten Aufträge ahnt die Unternehmerin jedoch, dass das der Schlüssel für den Aufstieg der Firma sein könnte: Für das Olympiastadion Luschniki sollen Plastikstühle geliefert werden. Die Renovierung des größten Stadions Moskaus Mitte der 90er ist ein Prestigeprojekt, auch von Bürgermeister Luschkow. „Ich wusste, dass wir diese Ausschreibung nur gewinnen konnten, wenn wir einen günstigeren Preis boten als die anderen", betont Baturina mit fester Stimme. Sie und ihr Team optimieren jedes Detail und erhalten den Zuschlag, denn die zweitplatzierten Deutschen waren deutlich teurer. Mutmaßungen, dass Baturina sich nur deshalb durchsetzte, weil sie mit dem Stadtoberhaupt verheiratet ist, verstummen dennoch nie ganz.

Kennengelernt haben sich die beiden 1987, als die damalige Doktorandin dem 30 Jahre älteren Juri als Mitarbeiterin zugeordnet wurde. Eine Versetzung, die die Nachwuchskraft zunächst sehr aufbringt, weil sie von ihrem Arbeitsplatz in einem wirtschaftswissenschaftlichen Institut nicht weg will. „Ich war dort unter elf Angestellten die einzige Frau, das hat mir sehr gut gefallen", grinst Baturina fröhlich. Ihre Romanze beginnt rund zwei Jahre später. Sie heiraten 1991.

Im folgenden Jahrzehnt gedeiht Inteko prächtig. Der Plastikproduzent verwandelt sich in ein verzweigtes Wirtschaftsimperium. Einen Großteil des Umsatzes verschaffen Bau, Verkauf und Bewirtschaftung von Immobilien aller Art wie Wohnungen, Büro, Einkaufszentren, Hotels und Schulen. Anteile an Gas- und Ölgesellschaften sowie der russischen Bodenbank und zwei Zementfabriken erweitern die Inteko-Welt.

Gut zwanzig Jahre später folgt die Razzia. Einen Nachweis für die Beschuldigungen erbringen die Untersuchungen nicht, Baturina selbst streitet jede gesetzeswidrige Handlung ab. Dennoch verkauft sie im September 2011 die Inteko an die russischen Sberbank sowie an Binbank-Chef Michail Schischkanow. „Um die Firma zu retten und die Mitarbeiter zu schützen", erklärt ihr Sprecher Gennady Terebkov, der seit zehn Jahren bei allen Gelegenheiten an Baturinas Seite steht.

Ihr Büro hat die Geschäftsfrau nun in der Grosvenor Street im vornehmen Londoner Viertel Mayfair. Ein nur wenige Zentimeter großes Klingelschild verrät, dass hier die Euro Assets Finance Ltd. zu erreichen ist. Eine schwarz glänzende Tür hält unangemeldete Neugierige und Geräusche draußen, dahinter wartet viel weißer Marmor. Der Raum lässt einen die Jacke enger ziehen. Die Geschicke ihrer Unternehmungen lenkt Baturina von einem knapp fünf Meter breiten schwarzen Schreibtisch im ersten Stock aus, umgeben von Skulpturen, hohen Vasen, türkisfarbenen Stühlen und halbleeren Regalen.
Die ein Meter sechzig große Mutter zweier Töchter ist schlanker als auf den alten Bildern aus der Moskauer Zeit. Ihre blonden Haare trägt sie gestuft in weichen Wellen bis auf die Schulter, das geblümte Designerkleid aus Seide umspielt die Knie und umschmeichelt die Figur. Die Inteko-Chefin mit Bubikopf und Hosenanzug – in den Medien Moskaus Betonprinzessin genannt – existiert nicht mehr, ebenso wenig die Bürgermeistergattin, die bei offiziellen Anlässen mit aufgedrehten Locken und spitzenbesetzten Gewändern an der Seite ihres Mannes steht.

Neben zwei ehemaligen Inteko-Managern hält vor allem Terebkov seiner Brotherrin die Treue. Er ist dauerpräsentes Mädchen für alles. Unterlagen sind nicht vollständig: „Gennady, wo sind sie?" In einem Dokument fehlt das englische Pendant zu einem russischen Ausdruck: „Gennady, hast Du keinen Übersetzer in Deinem Telefon?" Ein Baturina-Portrait im Internet bleibt unauffindbar: „Sag mir, wo es ist, Gennady!" Terebkovs Familie lebt in Moskau, er besucht sie regelmäßig.

„Das Leben hier ist weniger intensiv", vergleicht die Auswanderin ihre frühere und ihre jetzige Welt. „Und obwohl mir das, was ich in Moskau getan habe, viel Spaß gemacht hat, fehlte mir immer etwas ", fährt sie im Erzählton fort: „Es war nie genug Zeit für die Familie." Dabei zu sein, im Kreise der Regierenden, fehlt Elena nicht. Die offiziellen Auftritte neben Moskaus Bürgermeister betrachtete sie „als Ehre und Arbeit". Die passende Kleidung, um ihren Mann bei der Arbeit zu unterstützen, wären heute allerdings Gummistiefel und Matschhose. Denn der Mann, der einst für eine Stadt mit rund zwölf Millionen Einwohnern zuständig war, züchtet Schafe in Kaliningrad. „Warum ein erfolgreicher Bürgermeister von Moskau Landwirt wurde, müssen Sie den russischen Präsidenten fragen", kommentiert Elena Baturina ausdruckslos.

In den vergangenen zwei Jahren ist die Russin in Westeuropa sichtbarer geworden. Ihre vor einem Jahr gegründete Stiftung Be Open ist häufig der Anlass dazu. Die einzige Frau auf der russischen Forbes-Liste will Designern eine Plattform zum kreativen Austausch in Sachen Architektur, Stadtentwicklung und Gesellschaft bieten, sagt sie. Be Open veranstaltet Messen, Wettbewerbe und Installationen rund um den Globus.

Zudem verwaltet sie Hotels in Kasachstan, Russland, Tschechien, Österreich und Irland, Investitionen in weitere Hotels und eine Restaurantkette sind geplant. Das erste Baturina-Lokal soll in London eröffnen, vielleicht noch in diesem Jahr. Vier Hotels gehören bereits zu ihrem Firmengeflecht, ein fünftes ist im Bau und zwei weitere unterstehen ihrem Management. Über ein Hotel in Berlin führt sie Verhandlungen. 100 bis 200 Zimmer groß und mit vier oder fünf Sternen versehen, steht auf der Wunschliste. Aber grundsätzlich gilt: „Jedes Hotel, das Profit abwirft, ist ein gutes Hotel."
Durch den Umzug nach London geriet sie wieder ins Visier der Presse. Die Sunday Times behauptete Ende 2009, die Luschkow-Ehefrau habe das Londoner Herrenhaus Witanhurst gekauft, von dem es heißt, es sei das zweitgrößte in London nach dem Buckingham Palace. Die Meldung war falsch und erweckte zudem den Eindruck, eine wenige Monate vorher gemäß den russischen Antikorruptionsgesetzen abgegebene Vermögensaufstellung sei nicht vollständig gewesen. Elena Baturina prozessiert sofort, die Sunday Times verliert, muss richtigstellen und schließlich Schadenersatz zahlen.

Auch als die russische Presse ihr und ihrem Mann unlautere Methoden bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vorwarf, zog das Paar energisch und häufig erfolgreich gegen die Medien ins Feld. Doch die Negativpresse riss nicht ab. „Wenn du weißt, dass du nichts Illegales getan hast, aber dessen beschuldigt wirst, und das System das erlaubt, dann ist das System falsch", zieht sie Bilanz. Chancen, ihre Unschuld vor russischen Gerichten zu beweisen, sieht sie nicht. „Ich bin nicht Don Quichotte, ich werde nicht gegen Windmühlen kämpfen!"

Ihren Wegzug aus Russland möchte die gebürtige Moskauerin heute dennoch als normalste Sache der Welt interpretiert wissen. „Für eine Frau ist ihre Familie dort, wo ihre Kinder sind. Und meine Familie ist jetzt in London." An ihren 50. Geburtstag in diesem März tourte die ehemalige Vorsitzende des russischen Reitsportverbands zwar noch mit Mann und Töchtern durch Island. Dann zog es sie jedoch nach Norwegen, Frankreich und Italien. Im Oktober und November stehen Flüge nach Mumbai und Tokio auf dem Plan. „Ich bin nicht wirklich oft in London", gibt sie schlussendlich zu. Ein bisschen Familie findet dennoch im deckenhohen Regal in ihrem Büro statt. Hier stehen vier Fotos in gerahmter Standardgröße: Elena mit Ehemann auf einem Ball beim Tanz, die Töchter als sie noch klein waren, die Töchter als sie noch ganz klein waren, Elena mit ihrer Mutter und Ehemann.

Die 19 und 22 Jahre alten Töchter von Baturina und Luschkow leben seit Herbst 2010 in London und setzen dort ihr in Moskau begonnenes Studium fort. Der Abschied der Teenager aus Russland erfolgte nicht ganz freiwillig. Der wenige Wochen zuvor geschasste Luschkow erklärte damals, es gebe „sehr ernsthafte Gründe", sich um ihre Sicherheit zu sorgen.

„Es gibt die Heimat und es gibt den Staat und ich beschuldige keinen von beiden, mir das Leben schwer zu machen. Aber bestimmte Personen", erklärt Baturina auf die Frage nach einer möglichen Rückkehr nach Moskau. Und sie erzählt von einem Treffen mit Emigranten, die ihr Land während der Revolution 1917/18 verlassen mussten. „Sie sind nicht verärgert über Russland, aber sie sind sehr traurig darüber, dass viele Dinge falsch gelaufen sind. Aber egal was passiert: Russland ist meine Heimat."

Brigitte Mallmann-Bansa