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Abschied vom Prinzip der "gesunden Mischung"

Köpfe 10.02.2004
"Wir werden bunter" lautet die fröhliche Umschreibung eines Phänomens, mit dem sich immer mehr Wohnungsunternehmen auseinander setzen müssen. Statt homogener Mieterstrukturen finden sich in ... 

"Wir werden bunter" lautet die fröhliche Umschreibung eines Phänomens, mit dem sich immer mehr Wohnungsunternehmen auseinander setzen müssen. Statt homogener Mieterstrukturen finden sich in ihren Beständen Familien aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern. Das stellt neue Anforderungen an das Selbstverständnis.



Wer wissen möchte, wie sich Migrationsprozesse, Rückgang und Alterung der Bevölkerung in den städtischen Verdichtungsräumen auswirken werden, der studiert das Ruhrgebiet. Zahlreiche Städte Nordrhein-Westfalens (NRW) verlieren bereits seit zehn Jahren Einwohner - ein Schicksal, das anderen Regionen noch bevorsteht. Schon heute entspricht die Altersstruktur im Ruhrgebiet der von Gesamtdeutschland in rund 20 Jahren. Längerfristig ließen sich für ganz Deutschland die Entwicklungstrends auf die Kurzformel "Wir werden weniger, älter und bunter" zuspitzen, sagt Prof. Paul Klemmer, Präsident des Deutschen Verbandes in Berlin.

Der Verband der Wohnungswirtschaft Rheinland-Westfalen (VdW RW) beschäftigt sich daher bereits seit Jahren intensiv mit den Konsequenzen dieser Entwicklung für die Bestände seiner Mitgliedsunternehmen. In einem Arbeitskreis will man jetzt Handlungsempfehlungen für den Umgang mit den Themen Integration und Nachbarschaft unterschiedlicher Kulturen ausarbeiten und damit deutschlandweit eine Vorreiterrolle einnehmen.

Konkrete Erfahrungen und Erfolg versprechende Tipps für den Umgang mit Mietern unterschiedlicher Herkunft sind heiß begehrt. Zum einen gerät das Selbstverständnis der ehemals gemeinnützigen Wohnungswirtschaft als einer Institution, die die Integration veschiedenener Bevölkerungsgruppen aktiv fördert, immer wieder mit dem scheinbar unaufhaltsamen Trend einer zunehmenden Segregation der einzelnen gesellschaftlichen Gruppen in Konflikt.

Zum anderen ist das Thema "Migranten als Mieter" ein gesellschaftspolitisches Minenfeld, in dem Unternehmen zwischen die Fronten unterschiedlicher Ideologien geraten können. Die Politik, die über Beteiligungen oder Aufsichtsratsmandate aktiv in den Unternehmen engagiert ist, macht es ihnen oft nicht einfacher. Beispielsweise hält sich nach Beobachtung von Roswitha Sinz, Abteilungsleiterin im VdW RW, in den Chefetagen einiger Kommunen und Wohnungsgesellschaften hartnäckig das Leitbild einer "gesunden sozialen Mischung" für Quartiere.

Entstanden aus Stadterneuerungs-Konzepten der siebziger Jahre, folgt die Idee der "Durchmischung" der Vorstellung einer errechenbaren "gesunden" Ausländerquote. Ist diese in einem Quartier überschritten, wird das als entsprechend "ungesund" gewertet - so ungesund, dass mancherorts kommunale Unternehmen, die "zu viele" Eigentumswohnungen an Ausländer verkaufen, finanziell sanktioniert werden. Leitbilder dieser Art, so die übereinstimmende Meinung der Teilnehmer eines VdW-Fachkongresses in Essen, haben sich in der Praxis als kontraproduktiv erwiesen.

"Eine so genannte gesunde Mischung verschiedener Ethnien gibt es nicht", resümiert Uta Schütte, Projektbeauftragte bei der Ruhr-Lippe Wohnungsgesellschaft in Dortmund. Ebenso wenig könne man von "der" Kundengruppe Migranten sprechen. "Selbst bei gleicher Nationalität sind Migranten keine homogene Gruppe", weiß Oliver Gabrian von der LEG Wohnen, Düsseldorf. Weitere Unterschiede gibt es hinsichtlich der lokalen Mikrostruktur einzelner Quartiere mit hohem Ausländeranteil, so Dirk Halm vom Zentrum für Türkeistudien in Essen. "An einer Stelle ist die Seniorenquote überdurchschnittlich hoch, anderswo leben besonders viele Arbeitsmigranten mit hohem Selbsthilfepotenzial, an anderer Stelle dominieren Spätaussiedler. Wieder andere Ausländer wandern aus den Zentren in die Speckgürtel ab."

Vermieter städtischer Wohnquartiere sollten die Migranten also als eine differenzierte Kundengruppe mit ständig wachsender Bedeutung erkennen, raten die Praktiker. Dies sei durchaus im ökonomischen Interesse der Unternehmen, betont Hans Fürst aus der Forschungsabteilung der Nassauischen Heimstätte, Frankfurt am Main. "Viele Geschäftsführer von Wohnungsgesellschaften sehen sich immer noch als Anbieter von Wohnraum für den europäischen Mittelstand. Das entspricht aber nicht der Realität." Angesichts der demografischen Entwicklung kann es sich lohnen, der neuen Wirklichkeit ins Gesicht zu sehen, ist doch bei der Migrantenbevölkerung mit weiterem Zuwachs zu rechnen. Fürst: "Wohnungsgesellschaften und Regionen ohne Zuwanderung werden ihren Einwohnerschwund langfristig nur durch Stadtumbaumaßnahmen auffangen können." (mol)

IZ