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"Frauen am Bau sind doppelt unsichtbar"

Nicole Parlow.

Nicole Parlow.

Quelle: Lothar M.Peter

Karriere 22.12.2022
Erst Profifußballerin, dann Bauingenieurin: Nicole Parlow schafft für Frauen Vorbilder, wo sich sonst vor allem Männer tummeln. Beruflich hat sich die Potsdamerin dem Bestandsumbau ... 

Erst Profifußballerin, dann Bauingenieurin: Nicole Parlow schafft für Frauen Vorbilder, wo sich sonst vor allem Männer tummeln. Beruflich hat sich die Potsdamerin dem Bestandsumbau verschrieben – die alten Pläne und Gemäuer in ihrer Einfachheit sind für sie der Inbegriff nachhaltigen Bauens.

Immobilien Zeitung: Frau Parlow, Sie haben gemeinsam mit einer Kollegin die Ausstellung Queens of structure entworfen, die Bauingenieurinnen hinter bekannten Bauwerken vorstellt. Wie kam es dazu?

Nicole Parlow: Eine Kollegin und ich waren in einer Ingenieursausstellung in Salzburg, in der 95% Männer und ihre Werke gezeigt wurden und ungefähr zwei Frauen. Das geht nicht. Frauen sind im Ingenieurwesen doppelt unsichtbar, denn der Beruf steht in der Öffentlichkeit ohnehin immer hinter den Architektinnen und Architekten. Mies van der Rohe und Hans Scharoun kennt jeder, aber im Ingenieurwesen sieht es mit prominenten Namen mau aus. Das führt unter anderem dazu, dass weniger Leute Bauingenieurwesen studieren wollen als Architektur.

IZ: Wie erklären Sie einer Studieninteressentin kurz und einfach, was eine Bauingenieurin macht?

Parlow: Eine Bauingenieurin sorgt dafür, dass ein Gebäude stehen bleibt und dass es funktioniert. Wir setzen theoretische Gedanken in die Praxis um: Nur dank der Ingenieurtechnik kann die schöne Optik eines Gebäudes wirken.

IZ: Wie kam es dann zu der Ausstellung?

Parlow: Als ich in Vereine wie den Architekten- und Ingenieurverein (AIV) zu Berlin-Brandenburg eingetreten bin, bin ich fast nur auf Männer gestoßen. Ich fand das irgendwie komisch. Um etwas ändern zu können, bin ich in den Vorstand gegangen und war dort die jüngste Frau. Dabei respektiere ich die erfahrenen Herren absolut, ich kann viel von ihnen lernen. Andersherum muss man an die denken, die nachkommen: Wie kann eine junge Frau zum Beispiel dazu gebracht werden, in eine Vorstandssituation reinzugehen, um ihre Themen zu besprechen, wenn es dort keine jungen Frauen gibt? Dann kam die Möglichkeit, die Queens of structure als Beitrag zum WIA Festival in Berlin zu zeigen (siehe "Bauingenieurin mit Ball-Erfahrung" auf dieser Seite). Noch während dieses Zeitraums trudelten Anfragen ein – und jetzt touren wir seit mehr als einem Jahr durch Deutschland und die Schweiz.

IZ: Hat sich eigentlich etwas verändert seit Ihrem Eintritt in den AIV?

"Frauen haben keine Vorbilder im Bauwesen"

Parlow: Wahrscheinlich nicht. Aber ich habe schon den Eindruck, dass es die jungen Mitglieder gut finden, eine Vertretung im Vorstand zu haben. Und wir haben definitiv ein Nachwuchsproblem. Mit der Ausstellung war es ähnlich: Wir wollten Vorbilder schaffen. Angehende Bauingenieurinnen haben in der Regel keine Professorinnen, die sie als Vorbild nehmen können. Sie wissen gar nicht, dass man auch als Frau in dem Beruf erfolgreich sein kann.

IZ: Wie sind Sie Bauingenieurin geworden?

Parlow: Das war Zufall. Ich war als Profifußballerin im Kader, mein Betreuer fragte nach meinen Interessen außerhalb vom Sport und ich sagte, Mathe finde ich gut. Da sagte er, da weiß ich was, ich schreibe dich ein. Und da ich Sachen gern durchziehe, bin ich dabei geblieben. Wobei ich erst mit meiner Diplomarbeit den Spaß am Bauingenieurwesen entdeckt habe, als ich eine alte Halle auf ihre Materialien hin untersuchte und den Umbau zu einer Reithalle konzipierte. Zum Ende des Studiums waren bei uns noch 20% Frauen, worüber ich mir damals gar nicht so viele Gedanken gemacht habe.

IZ: Um den Frauenanteil in der Branche zu heben, müsste man weit vor dem Studium ansetzen. Welche Möglichkeiten sehen Sie?

Parlow: Das fängt für mich damit an, wie wir unsere Kinder großziehen. Nach wie vor ist es so, dass es bei Jungs in Ordnung ist, wenn sie laut, wild und dreckig sind. Bei Mädchen wird das nicht so gern gesehen. Unsere Rollenvorstellung ist immer noch sehr beengt, da müssten wir ansetzen – und Mädchen mitgeben: Ihr dürft alles tun.

IZ: Mit wem arbeiten Sie lieber zusammen, Frauen oder Männern?

Parlow: Ich freue mich, wenn es halbe-halbe ist. Männer haben oftmals etwas sehr Gelassenes, manchmal ist das angenehm. Frauen sind sehr ehrgeizig und sehr bedacht und dabei sehr effektiv, das finde ich gut.

IZ: Zurück zu den Inhalten des Bauingenieurwesens. Sie arbeiten als Tragwerksplanerinan hochkomplexen Projekten, bei denen sich von Architektur bis zu Haustechnik alle koordinieren müssen. Inwiefern trägt Building Information Modeling (BIM) dazu bei, dass diese Koordination gelingt?

Parlow:Ich bin keine so große Freundin der Digitalisierung. Wir arbeiten nur noch mit 3D-Modellen, ein einfaches Tragwerk kann in der Regel gar nicht mehr verstanden werden, weil es so kompliziert ist. Dabei würde es oft reichen, auf die Grundrisse zu schauen und vielleicht per Hand Notizen und Verbesserungen hineinzuschreiben – während man bei 3D oft etwas übersieht. Das gleichzeitige Arbeiten ist ein Wunsch, um Zeit zu sparen, in Wirklichkeit kann es ein K.-o.-Kriterium sein. Wenn wir zum Beispiel unser Tragwerk in das Modell hineinlegen und der Haustechniker drei Tage später seine Durchbruchstechnik einträgt, bemerken wir das vielleicht gar nicht und dann haben wir in Stützen Durchbrüche. Ich denke, mehr mit 2D und Methoden der vergangenen zehn Jahre zu arbeiten und dafür besser miteinander zu sprechen, hilft einem Projekt mehr.

IZ: Man könnte ja auch BIM nutzen und miteinander sprechen.

Parlow: BIM bedeutet, an einem Modell zu arbeiten. Aber ein Haustechniker braucht ein anderes Modell als das, das wir brauchen. Ein Architekt benötigt wieder etwas anderes, man arbeitet also nur verschiedene Modelle ineinander ein und alles wird unübersichtlich. Das kostet Nerven und Geld, und beides findet sich nicht in den Honoraren.

IZ: Geht es denn wenigstens schneller?

Parlow: Früher dauerte es bei unseren Projekten zwei Jahre, bis der Rohbau stand, jetzt sind wir bei vier bis fünf Jahren. Das liegt natürlich nicht nur an BIM, sondern an der allgemein stark gewachsenen Komplexität von Bauvorhaben. Wirtschaftlich ist das ein großes Problem.

IZ: Welche Ideen haben Sie, um dem entgegenzuwirken?

Parlow: Das ist schwierig. Die Baubranche ist ja recht gut durch Corona gekommen, was zur Folge hat, dass die Unternehmen allesamt überlastet sind. Man macht das Nötigste, aber oft sehr schnell, dann ist der Bauherr nicht zufrieden und wechselt die Baufirma. Das zieht wiederum Änderungen nach sich, weil andere Fachplaner neue Vorstellungen haben. Bauherren sind leider auch nicht mehr so entscheidungsfreudig wie früher. Für Architekten wird es schwieriger, Projekte in der Gänze zu überblicken – die Problemlage ist vielschichtig.

IZ: Dazu kommen regelmäßige Gesetzesänderungen …

Parlow: … die das Ganze weiter verkomplizieren. Allein die Energieeinsparverordnung verändert sich gefühlt alle zwei Jahre, da kann man kaum auf dem Stand bleiben. Wir wandeln uns so sehr, nicht unbedingt immer zum Guten. Wenn ich das mit dem Altbau vergleiche, in dem wir hier sitzen: So etwas könnten wir gar nicht mehr bauen heute.

IZ: Warum?

Parlow: Wir haben heute strenge Anforderungen an den Schallschutz, was mit Holzbalkendeckenkonstruktionen fast nicht zu leisten ist, außer man packt dann oben noch einmal eine Betonschicht drauf. Das nächste Thema ist der Brandschutz: Fangen wir an, diesen Holzbau aufwändig zu verkleiden, weil die Normung noch gar nicht so weit ist, solche Gebäudeklassen zuzulassen? Die Politik spricht viel über Nachhaltigkeit, aber es fehlt schon an den ersten Stellen von Genehmigungsverfahren.

"Einfacher bauen würde es viel günstiger machen"

IZ: Noch mal gefragt: Wo sehen Sie eine Lösung, um diese Spirale zu durchbrechen?

Parlow: Einfach bauen! Der Altbau, in dem wir sitzen, ist ein gutes Beispiel: Es gab immer Wände, die übereinanderstehen, Holzbalkendecken, mit einem Blick verstehe ich die ganze Konstruktion. Damit wir dahin kommen könnten, müssten Normen vereinfacht und Verordnungen zurückgeschraubt werden. Dadurch würden wir das Bauen so viel günstiger machen. Wir versuchen das immer, unseren Bauherren mitzugeben: Wenn wir es schaffen, in einem Raster zu arbeiten, dann schaffen wir es vielleicht auch, flexibel zu sein. Das heißt, wenn das Gebäude in 20 Jahren umgenutzt werden soll, kann vielleicht der Trockenbau herausgenommen werden und die Konstruktion als solche bleibt bestehen. So baut man ressourcenschonend. In 20 Jahren sind die Gebäude, die wir heute bauen, Bestand. Wenn die so kompliziert sind, dass sie keiner mehr versteht, bringt es nichts – und dann ist es auch unerheblich, ob sie mit 3D geplant werden. Die Computerprogramme von heute kann man in 20 Jahren ohnehin nicht mehr verwenden.

IZ: Wie viel versprechen Sie sich von den vom Bund forcierten Materialkatastern?

Parlow: Ich glaube, die sind nicht durchsetzbar, wenn wir nicht so bauen wie zu DDR-Zeiten – bei WBS 70 gab es einen Materialkatalog für jede Wand und jede Decke, das kann ich heute noch nachschlagen. Das würde bedeuten, dass alle dasselbe machen müssten, und das wird nicht passieren.

IZ: Aber genau das serielle Bauen will die Bauministerin doch stärken.

Parlow: Was ist seriell bauen? Allein wenn ich seriell mit Holz baue, gibt es verschiedene Hersteller und Plattenträgersysteme mit Materialkennwerten. Für den Moment kann das das Bauen beschleunigen, aber langfristig gedacht finde ich das nicht. Vielleicht gibt es in ein paar Jahrzehnten diese Plattenträgerhersteller gar nicht mehr, und ich komme nicht mehr an Ersatzteile.

IZ: Sie arbeiten seit 15 Jahren als Bauingenieurin. Wie versuchen Sie, trotz der Komplexität ihrem Plädoyer für Einfachheit zu folgen?

Parlow: Ich fokussiere mich auf den Bestand. Gerade bearbeite ich die alte Geschützgießerei in Berlin-Spandau. Dort wurden im Krieg Geschütze hergestellt. Da finden sich hochwertige gusseiserne Stützen und einfache Deckenkonstruktionen, die man wunderbar umnutzen kann. Da geht mir das Herz auf – wenn man durch einfache Strukturen ein schönes Gebäude konstruiert hat, dessen Basis wir in die Zukunft weitertragen können.

IZ: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Kristina Pezzei.

Bauingenieurin mit Ball-Erfahrung

Nicole Parlow leitet gemeinsam mit Christian Müller ein Büro für Tragwerksplanung in Berlin. Das Unternehmen sitzt in einem Gründerzeitaltbau im Westen Berlins – ein Gebäude, das Parlow gern als Musterbeispiel für einfaches Bauen nutzt: Ihre Spezialität und ihre Leidenschaft gelten Bestandsumbauten. Die 38-Jährige studierte Bauingenieurwesen in Potsdam, nachdem sie wegen einer Knieverletzung die Karriere als Profifußballerin aufgeben musste. Zuvor stand sie für Turbine Potsdam im Mittelfeld. Parlow ist verheiratet und hat eine Tochter.

Die Ausstellung Queens of structure porträtiert die Ingenieurinnen hinter prominenten Bauwerken. Sie war zunächst als einmaliger Beitrag zum Festival Women in Architecture (WIA) in Berlin gedacht. Als sich Anfragen aus dem deutschsprachigen Raum häuften, beschlossen Parlow und ihre Mit-Initiatorinnen, die Schau wandern zu lassen. Die nächsten Stationen sind Rapperswil (März/April 2023), München, Vatersdorf, Landshut und Nürnberg (Juni – August 2023), Stuttgart (vermutlich Ende 2023/Anfang 2024) und Weimar (voraussichtlich April – Juli 2024).

Kristina Pezzei

Kristina Pezzei

Großer BDA-Preis geht an Kanzleramt-Architekt Axel Schultes

Axel Schultes.

Axel Schultes.

Bild: Florian Meuser

Köpfe 17.07.2014
Axel Schultes hat den Großen BDA-Preis 2014 erhalten. Der Architekt des Kanzleramts wurde für sein Lebenswerk ausgezeichnet. ... 

Axel Schultes hat den Großen BDA-Preis 2014 erhalten. Der Architekt des Kanzleramts wurde für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Die siebenköpfige Jury lobte, dass sich Schultes mit mutigem Anspruch und großer Leidenschaft für eine Kultur des Bauens einsetze. Unbeirrt verfolge er über einen langen Zeitraum seinen architektonischen Weg und habe zu einer Architektur gefunden,
die über den Tag hinaus Bestand hat und von ungebrochener Relevanz ist. Ihre außerordentliche Gestaltungskraft würden seine Bauwerke aus einer Verbindung von Raumlandschaften, inszenatorischem Willen und sinnhaft feiner Detailbildung beziehen.

Schultes hatte 1992 mit Charlotte Frank und Christoph Witt eine Bürogemeinschaft gegründet. Aufmerksamkeit erhielt er durch Bauten wie das Bonner Kunstmuseum, das Krematorium Baumschulenweg in Berlin und das Kanzleramt (1995-2001). Zudem sicherte er sich den 1. Preis des Wettbewerbs für die Gestaltung 
des Spreebogens (1992).

Seit 50 Jahren würdigt der Bund Deutscher Architekten BDA mit dem Großen BDA-Preis bedeutende Leistungen auf dem Gebiet der Architektur und des Städtebaus. Zu den Preisträgern zählen u.a. Ludwig Mies van der Rohe, Günter Behnisch und Oswald Mathias Ungers. Die Preisverleihung findet am 12. September 2014 in Hannover statt.

Sonja Smalian