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Lieber autoritär als agil

Vorgesetzte treiben ihre Untergebenen gern zu mehr Agilität an, wollen sich selbst aber oft nicht bewegen.

Vorgesetzte treiben ihre Untergebenen gern zu mehr Agilität an, wollen sich selbst aber oft nicht bewegen.

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Karriere 25.07.2019
Immobilienunternehmen verschwenden Energie mit Coworking & Co., verschenken dafür aber bei ihren Mitarbeitern viel Potenzial. Größtes Hindernis für agilere Arbeitsweisen und mehr ... 

Immobilienunternehmen verschwenden Energie mit Coworking & Co., verschenken dafür aber bei ihren Mitarbeitern viel Potenzial. Größtes Hindernis für agilere Arbeitsweisen und mehr Unternehmergeist sind die Führungskräfte. Das zeigt eine aktuelle Studie, die der Immobilien Zeitung exklusiv vorliegt.

Agilität ist in aller Munde. Ursprünglich aus der Softwareentwicklung stammend, hat sich die Idee längst in anderen Branchen ausgebreitet. Auch Immobilienfirmen verspüren Veränderungsdruck: "Die Welt wird nicht wieder langsamer werden. Die Generation Z und die Digitalisierung treiben das agile Management voran", sagt ein für die Studie befragter Entscheider. Ob die Immobilienbranche will oder nicht: Auch diese ist einem "evolutionären, schleichenden Kulturwandel" unterworfen.

Die Immobilienunternehmen sind sich jedoch unsicher, ob und wie sie "agil" werden sollen. Der Titel der Studie, eines Gemeinschaftswerks des Competence Center Process Management Real Estate (CC PMRE), der HTW Berlin und von cctm real estate & infrastructure, ist nicht umsonst als Frage formuliert: "Wie viel Agilität verträgt die Immobilienwirtschaft?". Für die Studie nahmen 131 Fach- und Führungskräfte aus der Immobilienwirtschaft zwischen Dezember 2018 und Januar 2019 an einer Onlineumfrage teil. Die Befragten haben mehrheitlich (76%) Führungsverantwortung. Die aus dieser Umfrage gewonnenen Erkenntnisse wurden hinterher durch persönliche Interviews mit 35 Entscheidern aus der Branche näher beleuchtet.

Agilität ist das Gegenteil von hierarchischer Denke

Die Skepsis, die in diesen mitschwingt, hat gute Gründe. Agilität ist so ziemlich das Gegenteil der herkömmlichen klassisch-hierarchischen Organisationsform: Ein agiles Gebilde kommt weitgehend ohne Hierarchien - und die damit verbundenen Insignien der Macht - aus. Es besteht aus interdisziplinären Teams, die autonom agieren und sich selbst steuern. Entscheidungen sind stark dezentralisiert. Arbeit wird so regelfrei wie möglich verrichtet, Zeit und Ort sind flexibel. Der Arbeitsstand wird täglich gemeinsam überprüft. Arbeitsbehinderungen und Ursachen für Abweichungen kommen direkt zur Sprache. Maßstab des Gelingens ist allein der Kundennutzen - und nicht, dass der Vorgesetzte zufrieden ist.

Die verbliebenen Führungskräfte verstehen sich als fachliche Sparringspartner, die den Teams auf die Sprünge helfen, selbst aber nicht ins Geschehen eingreifen. Sie pflegen einen emotionalen Führungsstil und motivieren ihre Leute durch die Vermittlung von Sinn und Inspiration und lösen, wenn erforderlich, Blockaden.

"Eine Firma, die so agiert, geht pleite!"

Kein Wunder also, wenn Skeptiker aus der Immobilienbranche warnen: "Es ist nicht für jeden etwas. Das hängt vom Geschäftsmodell ab." Agiles Management dürfe nicht als Allheilmittel begriffen werden. Es tauge allenfalls für einzelne Komponenten innerhalb einer klassisch-hierarchischen Linienorganisation, z.B. das Projektmanagement. Unerlässlich sei eine übergreifende Steuerung, die Unternehmen davor bewahre, "in der Direktdemokratie zu sterben". Denn: "Eine Firma, die so agiert, geht pleite!"

Fakt ist: Die von vielen kleinen und mittelgroßen Spielern gespickte Immobilienbranche ist nicht gerade ein Vorreiter. "Getrieben wird das agile Management von international agierenden Großkonzernen. Mittelständler finden es momentan nur schick, aber der Druck fehlt - auch, weil es ihnen gerade aufgrund der Hochkonjunktur gut geht", stellt einer der befragten Entscheidungsträger fest.

Mehr Mut würde belohnt

Die Immobilienwirtschaft, so lautet auch das ernüchternde Fazit der Untersuchung, ist noch nicht wirklich bereit dafür, erprobte hierarchische Strukturen infrage zu stellen und neue Arbeitskonzepte auszuprobieren. Dabei wäre - gerade weil es so gut läuft - der Zeitpunkt perfekt. Schade ist die Zurückhaltung der Branche beim Thema Agilität vor allem deshalb, weil Unternehmen, die den Schritt hin zu agileren Modellen wagen, mit motivierteren und innovativeren Mitarbeitern belohnt würden - und letztlich auch mit positiven Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg. So sehen es die Befragten selbst.

Doch vor allem Termindruck lässt die Unternehmen an hierarchischen Organisationsweisen festhalten. Außerdem steht bei vielen Geschäftsmodellen nicht Innovation, sondern Effizienz im Vordergrund. Auch Vorgaben durch den Bauherrn, den Kapitalgeber oder rechtliche Auflagen sowie regulatorische Fesseln werden als Gegenargumente angeführt.

"Der eine sucht den Freiraum, der andere sehnt sich nach einem Patriarchen"

Ein weiterer Grund, der angeblich gegen agilere Arbeitsweisen spricht: So mancher Mitarbeiter, befürchten die Chefs, wäre mit zu viel Selbstorganisation überfordert. Besonders Mitarbeiter mit einem Wunsch nach Stabilität empfänden agiles Management "oft als Chaos". Ein anderer Interviewpartner differenziert: "Das ist sehr heterogen und unabhängig von Alter, Ausbildung und Geschlecht. Der eine sucht den Freiraum, der andere sehnt sich nach einem Patriarchen, der über alles wacht."

Moniert wird, dass Mitarbeiter sich nur die Rosinen herauspicken wollen: "Es besteht eine explizite Forderung nach Einbindung, Mitsprache und Bestimmung, aber keine Zunahme im Sinne einer tatsächlichen Verantwortungsübernahme. Das geht diametral auseinander." Diesen Spieß könnten die Mitarbeiter umdrehen: Die Vorgesetzten wünschen sich zwar, dass ihre Untergebenen mehr Verantwortung übernehmen - doch die etablierten Hierarchien sollen bitte bestehen bleiben.

Eine echte Herausforderung für die Mitarbeiter

Richtig ist allerdings, dass agile Arbeitsweisen eine echte Herausforderung für die Mitarbeiter sind. In hierarchischen Organisationen sind die Aufgaben eindeutig definiert und die Rollen klar verteilt, die Zielvorgaben sind präzise, die Leistungserfüllung wird durch die Führungskräfte kontrolliert. In der neuen Welt dagegen ist der Einzelne letztlich sein eigener Chef. Niemand sagt ihm, was er tun soll. Nicht in dem Sinne, dass jeder machen kann, was er will. Verantwortungsbewusstsein, Pünklichkeit und Verlässlichkeit sind noch wichtiger als in hierarchischen Organisationen, weil niemand den Einzelnen oder das Team im herkömmlichen Sinne kontrolliert. Außerdem arbeiten auch agile Teams nach bestimmten Regeln (siehe "Heute schon gescrummt?" auf dieser Seite). Diese dienen jedoch nur als Leitplanken und Katalysatoren.

Selbstorganisation ist kein Selbstläufer. Sie will gut vorbereitet und begleitet sein. Teams müssen erst dazu befähigt werden, sich selbst zu steuern, gemeinsam Ideen zu entwickeln, Engpässe untereinander auszugleichen und Entscheidungen selbst zu treffen - kurzum: Unternehmergeist zu entwickeln. Die verstärkte Förderung digitaler Kompetenzen ist dabei eine conditio sine qua non.

Mit der Abkehr von formalen Hierarchien drohen informelle

Nicht zu unterschätzen sind auch Gruppendynamiken: "Das Risiko ist hoch, dass sich mit dem Wegfall formaler Hierarchien informale Hierarchien bilden. Daher braucht es einen Moderator oder Schiedsrichter auf diesem Weg, der sicherstellt, dass nicht Ideen aufgrund informeller Hierarchie abgesägt werden", sagt Marion Peyinghaus, Geschäftsführerin des CC PMRE und eine der Autorinnen der vorliegenden Studie.

In der Immobilienbranche verbinden die meisten mit Agilität jedoch nicht offenere und partizipativere Arbeitsweisen, sondern flexible Arbeitsplätze, also Coworking (Projektteams arbeiten temporär in externen Arbeitsumgebungen, wo sie sich u.a. Anregungen von Start-ups holen sollen), Desksharing (statt fest zugewiesener Büros teilen die Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze miteinander) und Büroapps (die dem Mitarbeiter dann z.B. anzeigen, wo gerade noch ein Schreibtisch/Rechner frei ist). Immobilienunternehmen denken eben von der Immobilie her.

Digitalisierung macht Agilität nur möglich

Doch der Witz an der Agilität liegt primär weder in der Arbeitsplatzgestaltung noch in technischen Errungenschaften. Digitalisierung macht Agilität erst möglich, doch die größten Herausforderungen liegen im Sozialen. Der Schlüssel zu mehr Erfolg durch Agilität liegt darin, wie Menschen besser miteinander arbeiten.

Ein Einsatzgebiet für agile Arbeitsweisen sehen die für die Studie Befragten vor allem in der Projektentwicklung (siehe Grafik "Nur Projektentwicklung und Verkauf taugen für agil" auf dieser Seite), denn "Projektentwickler haben schon immer in Projektstrukturen gearbeitet", so die gängige Argumentation. Auch die meisten Baumanager ziehen agile Methoden für ihren eigenen Bereich in Betracht. Investment-, Asset-, Property- und Facility-Manager favorisieren dagegen für ihr eigenes Betätigungsfeld in der Mehrzahl hierarchische Strukturen. "Im Investment- und Fondsmanagement geht das aus Governance-Gründen nicht, mehr Vorschriften als dort gibt es nirgends." Auch das Reporting sowie Gebäudebetrieb und Instandhaltung gelten als Fall für hierarchische Strukturen.

"Im Fondsmanagement geht das aus Governance-Gründen nicht"

Asset- und Investment-Manager können sich einen Einsatz agiler Methoden allenfalls im Ankauf vorstellen, Property-Manager in der Vermietung. Im Verkauf sehen vor allem Facility- und Baumanager, aber auch Investment- und Asset-Manager Möglichkeiten. Grob gesagt: Überall dort, wo Möglichkeitssinn gefragt ist, hat Agilität ihren Platz. So z.B. auch im Centermanagement, das autark, schnell und kreativ auf die Bedürfnisse der Mieter und Kunden vor Ort reagieren muss. Die Assetklasse Wohnen hingegen wird als Massenprodukt mit einem hohen Grad der Standardisierung bewertet. Diese Nutzungsart wird daher am stärksten einer hierarchischen Organisationsform zugeordnet.

Erfolgsschub durch eine veränderte Unternehmenskultur

Die Studie nimmt neun Bausteine agilen Managements unter die Lupe: Organisation und Prozesse, Unternehmenskultur, Mitarbeiter und Führung, Arbeitsplatzmodalitäten und -gestaltung sowie agile Methoden und digitale Medien. Die größten Chancen auf einen Erfolgsschub durch Agilität sehen Immobilienfirmen bei den Bausteinen Kultur, Mitarbeiter und Führung. Sie versprechen sich von mehr Agilität eine optimistische Grundhaltung, ein Gefühl von Sicherheit und eine ausgeprägte Lösungsorientierung. Kontinuierliche Verbesserung wird zur obersten Maxime, die Mitarbeiter können sich aufeinander verlassen, und über alle Hierachieebenen hinweg wird ein offener Dialog auf Augenhöhe geführt. Erfolg wird immer dem Team zugeschrieben, nie dem Einzelnen.

Das Paradoxe: Die Immobilienbranche investiert gerade in diese Bausteine, wenn überhaupt, nur zögerlich und vereinzelt. Abwarten und Teetrinken scheint die Devise zu lauten. Dies ließe sich auch als Indiz dafür lesen, dass das Humankapital noch nicht so knapp - und damit wertvoll - ist, wie der gern gebrauchte Begriff des "Fachkräftemangels" suggeriert.

Coworking, Desksharing und Büroapps nicht überbewerten

Viel Energie stecken die Unternehmen dafür in Trends der Arbeitsplatzgestaltung - obwohl sie sich von diesen selbst einen eher geringen Erfolgsbeitrag versprechen, ja diese teilweise selbst als Hype bewerten. Und noch wichtiger: Gerade bei der jungen Generation schießen die Unternehmen damit am Ziel vorbei. So hat eine Studie des CC PMRE im vergangenen Jahr gezeigt, "dass die Generation Z weder Coworking noch Desksharing schätzt, sondern einen eigenen Arbeitsplatz präferiert". Auch Büroapps, mit denen man Essensangebote in der Nachbarschaft checken oder sich zum Joggen in der Mittagspause verabreden kann, verfangen beim Nachwuchs nicht. Der ist übersättigt mit digitalen Tools und zieht den persönlichen Kontakt vor. Und er geht lieber ins Büro, statt sich mit dem Firmenlaptop in die heimische Hängematte zu legen.

Die Forscher folgern: Die Immobilienfirmen investieren in die falschen Themen. Sie verlieren Energie mit Investitionen in Coworking, Desksharing oder Lösungen für mobiles Arbeiten - und verschenken gleichzeitig Potenziale bei ihren Mitarbeitern und Führungskräften. Dabei schlägt es unmittelbar auf den Unternehmenserfolg durch, wenn die Mitarbeiter zufriedener und motivierter sind - und damit auch produktiver.

Im Ergebnis verschleudert die Immobilienbranche Energie und Geld mit Trends, die sie selbst tendenziell für überschätzt hält, und tritt bei Themen, die sie als wirklich erfolgsrelevant einschätzt, auf die Bremse. Warum ist das so?

Bremsklotz Führungskraft

Ganz einfach: Die Widerstände bei den Führungskräften sind zu groß, weil sich für diese am meisten ändern würde und sie am meisten zu verlieren hätten. Führungskräfte müssten sich vom Vorgesetzten zum Moderator, Mediator und Motivator, kurz: Möglichmacher, wandeln. Sie geben dem Team in ihrer neuen Rolle weder die Richtung vor noch das Ziel vor, sondern achten nur auf die Einhaltung der Spielregeln und helfen weiter, wenn es irgendwo hakt. Entscheidungen trifft nicht mehr die Person mit der größten Autorität bzw. der höchsten Position. Einzelbüro und Vorzimmer, Dienstwagen oder Vorzüge bei Dienstreisen etc. haben ausgedient.

"Die Ebene der Führungskräfte wirkt wie eine Lehmschicht, die unter dem Motto ‚Bisher war doch alles gut‘ Veränderungen verhindert", konstatiert ein Entscheidungsträger. "Führungskräfte erleiden durch das agile Management auch einen Macht- und Statusverlust." Wer gibt schon gern lange eingeübte und bewährte Verhaltensmuster wie Kommando und Kontrolle oder die Stabilisierung von Machtstrukturen durch liebgewonnene Statussymbole auf - und handelt sich Debatten ein, die er nicht mehr kraft seiner Position im Unternehmen im Keim ersticken kann?

Scheitern muss erlaubt sein

"Es hat viel mit Loslassen zu tun", bestätigt eine andere Stimme, "die neue Rolle als Berater muss erst erlernt werden." Dazu gehört auch Risikobereitschaft: Scheitern muss erlaubt sein, denn nur aus Fehlern lernt man. "Diese Bereitschaft, Fehler zuzulassen, ist essenziell für agiles Management." Heute werden Fehler lieber unter den Tisch gekehrt, statt sie offen auf den Tisch zu legen und aus ihnen zu lernen. Bei agilen Arbeitsmethoden wie Scrum macht ein ständiger, ja täglicher Austausch mit den Teammitgliedern ein Vertuschen von Fehlern, Problemen und Schwächen praktisch unmöglich.

Auch Studienautorin Peyinghaus vermisst in der Branche eine "Kultur des Scheiterns". Sie hat selbst zehn Jahre in der Schweiz gelebt und gearbeitet: "Dort werden Schwächen sehr offen diskutiert. Hier in Deutschland versucht man dagegen, Schwächen nicht zu zeigen. Das führt dazu, dass sie später auftauchen und Prozesse lähmen. Es wird zu viel Energie in die eigene Absicherung statt in Projekte investiert."

Demokratische Gehaltsfindung oder gemeinsame Auswahl neuer Mitarbeiter?

Während die Branche mit agilen Arbeitskonzepten immerhin liebäugelt, werden weitreichende Eingriffe in die Organisation abgelehnt. Partizipative Leistungsbeurteilung, demokratische Gehaltsfindung oder gemeinsame Auswahl neuer Mitarbeiter? Nicht mit mir, sagt die Immobilienbranche. Andere Unternehmen sind auch hier schon weiter. Peyinghaus fallen durchaus Beispiele aus anderen Branchen ein, wo Führungskräfte abgeschafft wurden, die Einstellung neuer Kollegen basisdemokratisch erfolgt oder Gehaltsverhandlungen im Team entschieden werden.

Das Festhalten an autoritären Führungskonzepten und ein antiquiertes Statusdenken sind auf Dauer keine Lösung. "Eine neue Ära des digitalen Zeitalters hat begonnen, dessen Auswirkungen sich nicht rückgängig machen lassen", sind sich die Autoren der Studie sicher. Es liege an der Immobilienbranche, die Veränderungen, die sich nicht aufhalten lassen, zu gestalten. Für manches Unternehmen, vermutet Peyinghaus, könnte die Lösung in "zwei Betriebssystemen, einem eher konservativen und einem eher agilen", liegen.

Lesen Sie dazu auch "Hypoport denkt in Kreisen" in dieser Ausgabe.

Heute schon gescrummt?

Das bekannteste Tool aus dem Werkzeugkasten agilen Managements dürfte Scrum sein: Interdisziplinär besetzte Teams widmen sich - unabhängig von der Linienorganisation, sofern es im betreffenden Unternehmen eine solche gibt - in einem fest abgesteckten Prozedere einem klar umrissenen Problem bzw. einer Aufgabe. Das Projektteam, das sich selbst organisiert, arbeitet die einzelnen Aspekte sukzessive in "Sprints" ab. Diese dauern zwei bis vier Wochen.
Die Anforderungen des Auftraggebers/"Stakeholders" - ein Kunde oder eine andere Abteilung im eigenen Unternehmen - werden durch den "Product Owner" vertreten. Vor jedem Sprint schätzen die Teammitglieder gemeinsam, wie komplex ein einzelner Punkt ist und wie lange es wohl dauern wird, ihn abzuarbeiten. Ist ein Ticket abgehakt, erfolgt unmittelbar der Praxistest. In - idealerweise - täglichen, kurzen Treffen berichtet jeder, was er gestern getan hat und was er heute vorhat, womit er gerade zu kämpfen hat und wo er besondere Herausforderungen sieht.
Am Ende jedes Sprints zeigt das Team dem Product Owner und allen Stakeholdern das Ergebnis seiner Arbeit live und sammelt Feedback - Meinungen, Verbesserungsvorschläge, Lob und Kritik - ein. Der "Scrum Master" sorgt dafür, dass sich alle an die Regeln halten. hat

Harald Thomeczek

In der Komfortzone

Die Berufseinsteiger sind konservativer als so mancher Chef denkt. Ein fester Arbeitsplatz, ein Dienstwagen und eine Fünf-Tage-Woche stehen bei den jungen Leuten hoch im Kurs.

Die Berufseinsteiger sind konservativer als so mancher Chef denkt. Ein fester Arbeitsplatz, ein Dienstwagen und eine Fünf-Tage-Woche stehen bei den jungen Leuten hoch im Kurs.

Quelle: Fotolia.com, Urheber: fotogiunta

Karriere 11.05.2018
Die Berufsneulinge strotzen vor Selbstbewusstsein, wenn sie ihre Ansprüche formulieren. Ein gutes Einstiegsgehalt sei häufig schlichtweg angemessen, eine Führungsposition das Ziel. ... 

Die Berufsneulinge strotzen vor Selbstbewusstsein, wenn sie ihre Ansprüche formulieren. Ein gutes Einstiegsgehalt sei häufig schlichtweg angemessen, eine Führungsposition das Ziel. Gleichzeitig scheuen sie das Risiko, lehnen finanzielle Verantwortung eher ab. Unternehmenschefs sagen: Das eine geht nicht ohne das andere.

Andreas Engelhardt kommt manchmal aus dem Staunen nicht heraus. Der Geschäftsführer der GWG-Gruppe hat bereits viele Bewerbungsgespräche erlebt. Doch in letzter Zeit gerät auch er ins Stocken, wenn er hört, wie klar und überhöht die Gehaltsvorstellungen mancher Berufseinsteiger sind. "Und das, obwohl sie noch gar keine Berufserfahrung vorzuweisen haben", wundert sich der Chef. Mit seinem unguten Gefühl ist er nicht allein. Große Augen macht auch Rodolfo Lindner, Partner bei der Schweizer Unternehmensberatung cctm consulting, wenn er dem Nachwuchs zuhört. "Die jungen Leute wollen Unternehmer sein, sind aber wenig risikoaffin." Er glaubt, das sei ein europäisches Phänomen. "Ich nenne das Wohlstandsverwahrlosung." Die Bereitschaft, sich aus seiner Komfortzone hinauszubewegen, sei sehr gering.

Die Erfahrungen der beiden Unternehmer sind Ausdruck dessen, was die noch unveröffentlichte Studie "Was die Wirtschaft denkt - und die Jugend will" des Competence Center Process Management Real Estate (CC PMRE), der HTW Berlin und cctm consulting offenlegt: die unterschiedlichen Erwartungshaltungen an den gegenüberliegenden Seiten des Schreibtischs. 89 Auszubildende und Studenten aus immobiliennahen Ausbildungsgängen wurden für die Studie befragt. Und nicht nur die. Gleichzeitig haben die Wissenschaftler die Erwartungen von 173 Fach- und Führungskräften der Immobilienwirtschaft an ihre Mitarbeiter von morgen erhoben. Das Resultat sind oft Ergebnisse, die Unternehmer den Kopf schütteln lassen.

Ein Beispiel: Viele Einsteiger wollen recht schnell eine Führungsrolle mit entsprechendem Gehalt übernehmen. Sie schrecken jedoch zugleich vor finanzieller Verantwortung zurück. "Führung hat immer etwas mit Verantwortung zu tun", sagt Dirk Tönges, Geschäftsführer von Vivanium Real Estate. Dass es das eine ohne das andere geben könnte - "diesen Zahn muss man der Jugend ziehen".

Damit nicht genug. Für die jungen Leute spielt die Gewinnmaximierung des Unternehmens nicht gerade die größte Rolle, gleichzeitig möchten sie allerdings einen sicheren Arbeitsplatz haben, ein hohes Gehalt kassieren, möglichst lange in dem Unternehmen bleiben und einen Dienstwagen fahren. Das gehe nicht alles zusammen, sagt GWG-Chef Engelhardt. "Die Vorstellungen sind oft ganz weit weg vom Unternehmensalltag."

"Das lässt sich doch alles erklären", lautet derweil der entspannte Tenor einzelner Studenten und Absolventen auf Nachfrage. Nico Busch und Agnes Cofalla halten ein gutes Gehalt zu Beginn des Berufslebens für angemessen. "Insbesondere Berufseinsteiger investieren sehr viel Zeit, scheuen nicht vor Überstunden zurück und müssen sich zunächst beweisen und wollen dies auch", sagt die 23-jährige Cofalla. Dafür müssten die Einsteiger oftmals im Privatleben zurückstecken. "Der Ausgleich dafür ist ein gutes Gehalt sowie mögliche Zusatzleistungen des Arbeitgebers", erklärt die Masterstudentin an der HTW Berlin.

Nico Busch bringt darüber hinaus das Schlagwort ins Spiel, das Unternehmern ohnehin bereits Sorgenfalten ins Gesicht treibt: der Fachkräftemangel. "Der ist inzwischen auch in den Köpfen der Absolventen angekommen", erklärt Busch, 26-jähriger Absolvent der hochschule 21 in Buxtehude. Die Studenten kennen ihren Marktwert und wollen ihn u.a. im Einstiegsgehalt widergespiegelt sehen. Zudem sei Busch mit seiner Ausbildung, dem dualen Studium und einem ansehnlichen Abschluss in eine gewisse Vorleistung gegangen, um der Firma ein kompetenter Mitarbeiter zu sein, sagt er. Da erwarte er von dem Unternehmen eine angemessene Gegenleistung.

Das hat Busch zufolge aber nichts mit solch weit überhöhten Forderungen eines hochmotivierten Studenten zu tun, der direkt vom Hörsaal ins Berufsleben startet. Diese Träumereien könnten von Unternehmen nicht erfüllt werden. Genauso wenig wie der aus der Studie hervorgegangene Wunsch, Führungspositionen ohne finanzielle Verantwortung zu übernehmen. Für Cofalla und Busch ist es selbstverständlich, dass beides zwangsläufig zusammengehört.

Die Studie des CC PMRE ist mit weiteren Hinweisen zu möglichen Fehlinvestitionen der Wirtschaft gespickt. Firmen, die ihr Geld zum Beispiel in die totale Digitalisierung ihrer Arbeitsabläufe stecken, können sich die Ausgaben sparen. Ein digitaler Chef, ein Tag voller Online-Meetings und Erreichbarkeit rund um die Uhr werden vom Nachwuchs eher abgelehnt. Gegen einen netten Plausch unter Kollegen an der Kaffeemaschine hat jedoch kaum einer etwas einzuwenden. Teeküche statt Chatroom.

So hoch der Stellenwert des persönlichen Kontakts für die Berufsanfänger auch ist, so klar stecken sie auch die Grenzen ab. Die Verquickung von Privatem und Beruf ist nicht erwünscht. Eltern-Kind-Büros zum Beispiel müssen demnach nicht vom Arbeitgeber angeboten werden, genauso wenig wie die Möglichkeit der Wochenendarbeit. Der Mitarbeiter von morgen findet die Fünf-Tage-Woche im Büro gar nicht so schlecht - wobei er da gerne selbst über die täglichen Arbeitszeiten entscheidet. Denn schließlich soll ja auch die Arbeit mit der eigenen Familienplanung kompatibel sein.

Heimelig mag es der Nachwuchs auch, wenn es um auswärtige Tätigkeiten geht. Bei kurzen Dienstreisen sind die jungen Leute noch mit Eifer dabei. Doch zwei, drei Jahre für den Job im Ausland zu verbringen, ist von manch einem Azubi und Studenten aus heutiger Sicht nicht unbedingt erwünscht. "Die Jugend kann heutzutage schon privat so weit reisen", erklärt CC-PMRE-Geschäftsführerin Marion Peyinghaus. Dazu brauche man die Arbeit nicht. Der Reiz des Fremden sei nicht mehr in dem Maße vorhanden wie noch zur Ausbildungszeit manch eines Geschäftsführers oder Vorstands.

Wissenschaftlerin Peyinghaus erklärt diese Zurückhaltung des Nachwuchses mit seiner "Suche nach Nestwärme". Ein fester Arbeitsplatz mit guter Arbeitsatmosphäre und das Zuhause mit Familie und Freunden als sicherer Rückzugsort tragen wesentlich zum Wohlfühlen der jungen Leute bei. Studentin Cofalla unterstreicht, wie wichtig ihr - neben den Anreizen wie einem guten Gehalt und Dienstwagen - die Teamstruktur und die Arbeitsatmosphäre sowie die Möglichkeit zur persönlichen Entwicklung und Herausforderungen sind. "Auch eine Kultur der Wertschätzung spielt dabei eine wichtige Rolle", betont sie.

cctm-Chef Lindner interpretiert das als klaren Vorteil für kleine Unternehmen, die noch mehr Individualität bieten können. Absolvent Busch findet es hingegen einfacher, zunächst konkrete Gehaltsangebote unterschiedlicher Firmen zu vergleichen. Und da haben größere Unternehmen zwangsläufig bessere Karten. Kleinere Firmen hätten seiner Meinung nach erst dann eine Chance, mit ihrem Wohlfühlfaktor zu punkten, wenn sie duale Studenten schon im ersten Semester einstellen. Dann würden sich beide Seiten von Grund auf kennenlernen - mit all ihren persönlichen Erwartungen auf der einen und alltäglichen Erfordernissen auf der anderen Seite. "Durch die berufliche Vollzeittätigkeit ist eine sehr gute Symbiose zwischen Berufsleben und wissenschaftlicher Vorgehensweise gegeben", sagt Robert Scheepers, Absolvent an der EBZ Business School. "Ein guter immobilienwirtschaftlicher Studiengang sollte - insbesondere für Studenten ohne Berufserfahrung - diverse Praxismodule beinhalten, sodass Studenten erleben, welche unternehmerischen Erwartungen mit dem gewünschten Gesamtpaket des Studenten eigentlich verbunden sind." Im Rheinland sage man dazu: "Vun nix kütt nix".

Um sich in einem Bewerbungsgespräch künftig böse Überraschungen auf allen Seiten zu ersparen, will GWG-Chef Engelhardt selbst aktiv werden und bereits früher ansetzen. "Wir werden wohl noch mehr selbst ausbilden müssen", sagt er. Vivanium-Geschäftsführer Dirk Tönges nimmt die Ergebnisse der Studie ebenfalls ernst. "Man muss den jungen Leuten zuhören, was ihnen wichtig ist", sagt er. "Man muss ihnen aber auch Grenzen aufzeigen." Es komme ihm vor, als gehörten die in der Studie befragten Azubis und Studenten mehrheitlich zur Gruppe der Indianer. Was die Wirtschaft aber brauche, seien echte Häuptlinge.

Die Wunschliste der Jugend

Was die Jugend erwartet:

  1. Familienkompatibilität
  2. Mitarbeit an Unternehmensstrategien
  3. Förderung der eigenen Gesundheit
  4. Persönliche Förderung
  5. Digital und Social Skills

Was die Jugend nicht will:

  1. Totale Digitalisierung
  2. Volatile Arbeitsverhältnisse
  3. Fremdbestimmte Zeitplanung
  4. Büros in der Innenstadt
  5. Arbeit verschmilzt mit Privatleben
Anke Pipke