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Im Ernstfall kein Kuschelmandat

Vier Stühle, drei Aufsichtsräte: Wer einen Aufsichtsposten anstrebt, sollte wissen, worauf er sich einlässt.

Vier Stühle, drei Aufsichtsräte: Wer einen Aufsichtsposten anstrebt, sollte wissen, worauf er sich einlässt.

Bild: Rawpixel.com/Fotolia.com

Karriere 11.08.2016
Aufsichtsratsmandate sind keine Frühstücksdirektorenposten. Aufsichtsräte dürfen dem Vorstand zwar nicht ins Handwerk pfuschen. Im Zweifel sind sie es aber, die die Reißleine ziehen ... 

Aufsichtsratsmandate sind keine Frühstücksdirektorenposten. Aufsichtsräte dürfen dem Vorstand zwar nicht ins Handwerk pfuschen. Im Zweifel sind sie es aber, die die Reißleine ziehen (sollten), wenn dem Unternehmen ein größerer wirtschaftlicher Schaden zu drohen scheint. Aufseherposten in der Immobilienwirtschaft gelten als besonders verantwortungsvolle Mandate.

Kaufmännisch gesehen hat sich der Aufsichtsrat da sicher nicht mit Ruhm bekleckert. Zwei Einzelrisiken dürfen ein Unternehmen nicht in die Pleite reißen", sagt Daniel Bauer. Der Vorstandsvorsitzende der SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger aus München schätzt, dass insgesamt nur rund 1% der Aufsichtsräte von börsennotierten deutschen Aktiengesellschaften ihre Aufgabe nicht mehr ausreichend erfüllen. "Was nicht heißt, dass die restlichen 99% einen Superjob machen; die Bandbreite reicht in Schulnoten ausgedrückt von eins bis vier. Aber im Großen und Ganzen funktionieren die allermeisten Kontrollgremien schon."

Im bekannten Fall einer börsennotierten Gewerbeimmobilien-AG, die sich nicht zuletzt mit einer kostenexplosiven, milliardenschweren Projektentwicklung am Frankfurter Flughafen und dem Erwerb eines Londoner Landmark-Buildings verhoben hatte, ist die Sache für Bauer klar: "Der Aufsichtsrat hat versagt. Wie sonst soll man es bewerten, dass das Unternehmen in die Insolvenz rutschte? Hochtief - um einen fiktiven Vergleich zu wählen - ging ja auch nicht gleich Pleite, nur weil die Elbphilharmonie nicht lief."

Im Allgemeinen sind die Aufsichtsräte deutscher Aktiengesellschaften nicht schlecht besetzt, findet auch Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). In den vergangenen Jahren habe sich einiges in Richtung Professionalisierung getan: "Die Zeiten, in denen die Besetzung gut dotierter Aufsichtsratsmandate auf dem Golfplatz verhandelt wurde, sind zwar noch nicht ganz vorbei, aber doch so gut wie." Dafür haben nicht zuletzt die erhöhten Haftungsrisiken und die gesteigerten Kompetenzanforderungen an die Kandidaten gesorgt, die etwa im Deutschen Corporate Governance Kodex festgeschrieben sind.

Eine ernüchternde Botschaft hat Kurz aber auch parat: "Ob das jeweilige Kontrollgremium tatsächlich über die notwendige Kompetenz verfügt, zeigt sich häufig genug erst im Krisenfall." Wer ein Aufsichtsratsmandat anstrebt, sollte sich darum über die Verantwortung im Klaren sein, die er sich damit auf die Schultern lädt.

"Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen." So steht es im Aktiengesetz. Um diesen Satz mit Leben zu füllen, muss sich ein Aufsichtsrat zunächst regelmäßig vom Vorstand Bericht erstatten lassen: "Ein guter Aufsichtsrat lässt sich monatlich eine betriebswirtschaftliche Auswertung vom Vorstand zukommen und eine Einschätzung zum Geschäftsverlauf geben", sagt Anlegerschützer Bauer.

Auf den Aufsichtsratssitzungen können die Unternehmensaufseher Vorstände befragen und - wenn nötig - fehlende Unterlagen nachfordern. Außerdem erlaubt das Aktiengesetz dem Gremium, die Bücher der Gesellschaft und die Vermögensgegenstände einzusehen und zu prüfen.

Die Unternehmenssatzung oder der Aufsichtsrat in der Geschäftsordnung hat zu bestimmen, dass gewisse Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen. Dieser Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte wird für jedes Unternehmen individuell von der Hauptversammlung oder dem Aufsichtsrat ausgestaltet.

"Dort, wo operative Fehler gemacht werden, endet der Spielraum eines Aufsichtsrats irgendwann", ergänzt Martin Kaspar, Senior Manager Board Services bei der Beratungsgesellschaft PwC, die Unternehmen und Aufsichtsräte in Sachen Unternehmensüberwachung berät. Das Kontrollgremium sei schließlich nicht der bessere Vorstand oder die bessere Geschäftsführung: "Der Aufsichtsrat sucht den Vorstand aus und muss ihn zur Rede stellen, wenn ihm etwas Spanisch vorkommt, wenn es ihm z.B. so vorkommt, als wolle der Vorstand unverhältnismäßige Risiken eingehen." Er könne jedoch nur Leitplanken einziehen und darauf hinwirken, dass der Vorstand sich auch an diesen orientiert: "Trifft der Vorstand eine unternehmerische Entscheidung, und etwas geht schief, ist nicht der Aufsichtsrat dafür verantwortlich", so Kaspar.

Damit der Aufsichtsrat als Organ grundsätzlich in der Lage dazu ist, seine Kontrollfunktion auszuüben, muss er "sich so zusammensetzen, dass seine Mitglieder insgesamt alle notwendigen Qualifikationen abdecken", weiß Sabine Ernst, Rechtsanwältin von Hogan Lovells, die u.a. auf Gesellschafts- und Aktienrecht spezialisiert ist. Natürlich kann und soll nicht jeder alles wissen und können, aber: Jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied müsse gleichwohl alle Mindestkenntnisse und -fähigkeiten mitbringen oder sich aneignen, die es in die Lage versetzen, ohne fremde Hilfe alle normalen Geschäftsvorgänge zu verstehen und sachgerecht zu beurteilen, so Ernst.

Die Anforderungen an Aufsichtsräte in der Immobilienwirtschaft hält DSW-Sprecher Kurz für "besonders hoch", denn: "Gerade bei Immobiliengesellschaften entstehen häufig Probleme, weil Immobilien bilanziell nicht zum richtigen Ansatz bewertet werden." Daniel Bauer von der SdK legt den Finger in dieselbe Wunde: "Das Manipulationspotenzial ist in der Immobilienbranche besonders groß", sagt er. "Immobilienunternehmen basieren auf Immobilienbewertungen, und besonders bei einer Bilanzierung nach IFRS ist es sehr leicht, Objekte z.B. nach ihrem Erwerb hochzuschreiben."

Aus diesem Grund sollten, findet Bauer, besonders Vorstände börsennotierter Immobilien-AGs nach ihrem Ausscheiden aus dem Vorstand die vom Corporate Governance Index empfohlene zweijährige Karenzzeit einhalten und nicht - vorausgesetzt, 25% der Anteilseigner stimmen zu - nahtlos in den Aufsichtsrat wechseln: "Würden Sie Bewertungen in Zweifel ziehen, die derjenige zu verantworten hat, der über Ihren Bonus oder die Verlängerung Ihres Vertrags entscheidet?", fragt er rhetorisch.

Im Idealfall sollten stets mindestens ein Bilanzierungsexperte, ein Branchenfachmann und ein Jurist in dem Gremium vertreten sein. Gerade bei kleineren Unternehmen bzw. Aufsichtsräten, die sich z.B. nur aus drei Personen zusammensetzen, ist das nicht immer ganz einfach.

Als Winfried Schwatlo, Geschäftsführer des Projektentwicklers Schwatlo Management aus München, vor ein paar Jahren ein Aufsichtsratsmandat bei einem Projektentwickler und Wohnbauträger angetragen bekam, war die für ihn vorgesehene Rolle klar umrissen: "Ich wurde ausgewählt, damit ich die vorhandenen Aufsichtsratsmitglieder mit meiner Immobilien- bzw. Projektentwicklungsexpertise ergänze: Der Vorsitzende ist ein Profi-Aufsichtsrat, das andere Aufsichtsratsmitglied ein erfahrener Wirtschaftsprüfer", erzählt Schwatlo. Und noch eines sei ihm schnell klar gewesen: "Das würde kein Kuschelmandat werden; darauf wies mich mein künftiger Aufsichtsratsvorsitzender hin".

Zu nicht weniger als 15 Sitzungen, darunter vier Telefonkonferenzen, kamen die Mitglieder des dreiköpfigen Gremiums im Jahr 2014 zusammen. Mehr als üblich: "Normal sind mindestens vier, häufig aber auch fünf bis sieben Sitzungen im Jahr. Wobei man Pi mal Daumen mit jeweils einem weiteren Tag für die Vorbereitung und einem Tag zusätzlich für die Nachbereitung kalkulieren sollte. Hinzu kommen noch Sitzungen von einzelnen Ausschüssen, wenn ein Aufsichtsrat solche gebildet hat", stellt Martin Kaspar von PwC fest.

Zusätzlich zu den 15 Aufsichtsratssitzungen sei er, so Schwatlo, etwa genauso viele Arbeitstage lang mit der vom gesamten Aufsichtsrat und später von der Hauptversammlung abgesegneten "Beratung" des - zwischenzeitlich ausgetauschten - Vorstands bei einer Projektentwicklung beschäftigt gewesen. Denn: "Ich und meine Aufsichtsratskollegen als gemeinsame Kontrollinstanz des Vorstands mochten dieses Vorhaben nach intensiver interner Diskussion in der vom alten Vorstand vorgesehenen Planung nicht mittragen."

Er habe seine Co-Kontrolleure davon überzeugen können, dass eine Umsetzung der ursprünglichen Pläne "brandgefährlich" für die später umbenannte und von der Börse genommene Gesellschaft geworden wäre, und der Aufsichtsrat als Organ habe ihm "aufgrund meiner Erfahrung als Projektentwickler das Okay gegeben, das Projekt als Ratgeber des neuen Vorstands umzustricken".

"Die Überwachung der Unternehmensleitung ist das Brot-und-Butter-Geschäft eines Aufsichtsrats, die Beratung des Vorstands in strategischen Fragen die Königsdisziplin. Allerdings rücken Aufsichtsräte dadurch in ihrer eigenen Wahrnehmung heute auch tendenziell immer näher an das operative Geschäft heran", stellt Berater Kaspar fest.

Schwatlo will seine Tätigkeit als Aufseher ausbauen. Darum hat er sich von der Deutschen Börse als Aufsichtsrat zertifizieren lassen und Fortbildungen der Real Estate Board Academy der ICG Initiative Corporate Governance der deutschen Immobilienwirtschaft absolviert. Für alle, die ein Aufsichtsratsmandat anstrebten bzw. ernst nähmen, sei es "eine große Notwendigkeit", sich weiterzubilden, findet er. Und sich anhand von historischen Originaldokumenten, die öffentlich verfügbar sind, zu fragen, ob man z.B. die drohende Insolvenz der IVG als deren Aufsichtsrat rechtzeitig hätte erkennen und gegensteuern können. Auch DSW-Sprecher Kurz hält "eine ständige Weiterbildung" für "dringend geboten". Schon allein wegen der dynamischen Entwicklung sowohl vieler Geschäftsfelder als auch der Bilanzierungsvorschriften.

Rund 14.000 Euro hat sich Schwatlo den von Interfin Forum durchgeführten Lehrgang kosten lassen: Über 12.000 Euro fielen für den Kurs und die Prüfung an, der Rest waren Reise- und Hotelkosten. Kein Pappenstiel, wenn man bedenkt, dass die Bezüge von Aufsichtsräten, gemessen an den Gehältern von Vorständen und Geschäftsführern, eher überschaubar ausfallen: "Die Vergütung ist nicht der Anreiz, diesen Job zu machen. Salopp gesprochen: Auf die z.B. 20.000 Euro im Jahr kommt es für diejenigen, die in aller Regel für ein Aufsichtsratsmandat infrage kommen - meist ehemalige oder amtierende Vorstände und Geschäftsführer - nicht mehr an", so Berater Kaspar.

Harald Thomeczek