Nur wer sein Ziel kennt, kann auch wirklich treffen

Köpfe 29.05.2008
Kunde ist nicht gleich Kunde - er unterscheidet sich hinsichtlich seiner Bedürfnisse, Probleme, Anforderungen, Wünsche, Wahrnehmungen, Ansprüche, Werte, finanziellen Mittel und Lebensstile. Das ... 

Kunde ist nicht gleich Kunde - er unterscheidet sich hinsichtlich seiner Bedürfnisse, Probleme, Anforderungen, Wünsche, Wahrnehmungen, Ansprüche, Werte, finanziellen Mittel und Lebensstile. Das ist eine Binsenweisheit. Genau wie die Erkenntnis, dass er desto eher gewonnen werden kann, je besser er angesprochen wird. Da kein Unternehmen für jeden denkbaren Mieter und Käufer eine individuelle Kampagne stricken kann, behelfen sich die Marketingstrategen mit Zielgruppen. Jörg Erpenbach, Dozent für Marketing und Immobilienmanagement, zeigt, wie die gebildet werden.

Eigentlich ist zielgruppenorientiertes Marketing in der Immobilienwirtschaft nichts wirklich Neues. Die Unternehmen sprechen schon immer eine gewisse Klientel an. Das ergibt sich aus dem lokalen bzw. regionalen Bezug, der Unternehmensform oder der vorhandenen Mieterstruktur. Neu ist jedoch der Grad der Detailliertheit, mit dem heutzutage Märkte zu segmentieren und zu bearbeiten sind, und die konsequente Umsetzung der daraus resultierenden Anforderungen im Rahmen der Marketing-Mix-Aktivitäten.

Soziodemografische Methode von der Branche bevorzugt

Soziodemografische Ansätze, die in der unternehmerischen Praxis am häufigsten genutzt werden, bedeuten die Aufteilung des Marktes auf der Basis von Kriterien wie Alter, Geschlecht, Haushaltsgröße, Einkommen, Familienlebenszyklus, Beruf, Ausbildung, Konfession oder nationale Herkunft (s. Übersicht rechts). Von der Immobilienwirtschaft gern genommen wird diese Variante, weil Wünsche, Präferenzen und Anforderungen der Mieter und Käufer häufig mit den hier erfassten Variablen korrelieren, beispielsweise mit dem Einkommen oder dem Alter. Ferner sind diese Angaben leichter zu erfassen als viele andere Kriterien. Selbst wenn ein Unternehmen seine Zielpersonen mit einer anderen Methode erfasst, werden diese Daten häufig ergänzend zu Rate gezogen, allein um die Größe eines Marktes zu ermitteln. Aufgeteilt nach soziodemografischen Kriterien können so zum Beispiel die Wohnungswirtschaftler Studenten und Berufsanfänger gezielt ansprechen und ihnen "Junges Wohnen" mit kleineren bezahlbaren Quartieren anbieten. Die gezielte Ansprache junger Familien bzw. Alleinerziehender sowie einzelner Nationalitätengruppen oder Berufspendler ist ebenfalls möglich. Dass vielfach jedoch eine differenziertere Ansprache bzw. eine Kombination einzelner Kriterien erforderlich ist, zeigt das Beispiel der Zielgruppe der Senioren. So kann innerhalb dieses Segments wiederum nach dem Alter ("Die jungen Alten") unterschieden werden, nach dem Einkommen, dem Grad der Pflegebedürftigkeit oder der Größe des Haushalts.

Psychografische Methode fragt nach Einstellungen zum Leben

Hier werden die Kunden anhand ihres Lebensstils bzw. ihrer Persönlichkeitsmerkmale in Gruppen eingeteilt, wobei die Angehörigen ein und derselben soziodemografischen Gruppe sehr unterschiedliche psychografische Profile aufweisen können. Überaus großen Wert wird der Einstellung beigemessen. Gefragt wird, welchen Stellenwert der Umweltschutz bei ihren Entscheidungen einnimmt, ob es darauf ankommt, beim Kauf einer Immobilie gegenüber Nachbarn und Verwandten den eigenen sozialen Status nach außen zu kehren, ob Geiz als geil empfunden und welcher Wert auf die Qualität gelegt wird. Vor große Probleme stellt die Marketing-Experten dabei der so genannte Hybrid. Der nämlich stopft seine im Aldi gekaufte Milch ins aberwitzig teure Designertäschchen.

Psychografische Ansätze, insbesondere dann, wenn nach Lebensstil oder Nutzen unterschieden wird, werden von der Immobilienwirtschaft bereits in Ansätzen beim Verkauf von Häusern und Eigentumswohnungen berücksichtigt.

Um Lebensstile zu ermitteln, haben sich in der Praxis zwei Modelle durchgesetzt. Bei der Lifestyle-Typologie werden Personentypen gebildet. Heraus kommen dabei Leute wie Erwin, der 13% der westdeutschen Gesamtbevölkerung repräsentiert (s. rechter Kasten oben). Differenzierter sind Aufteilungen, die das soziale Milieu, in dem der Mensch lebt, mit berücksichtigten. Solche Daten erhebt seit 1979 das Sinus Marktforschungsinstitut in Heidelberg.

Verhaltensbezogene Methode überprüft gewünschten Nutzen

Bei der verhaltensbezogenen Segmentierung werden Mieter und Käufer auf der Grundlage ihrer Produktkenntnisse, Einstellungen, dem Stadium der Kaufbereitschaft, Gewohnheiten oder ihrer Nutzenvorstellungen in Gruppen eingeteilt. Letztgenanntes Kriterium finden die Marketingexperten am spannendsten. Nutzen gilt hier als Resultat der Beurteilung verschiedener Alternativen, wobei unterschiedliche Kriterien bewertet werden. Unter die Lupe genommen werden die Netto-Kaltmiete, die Infrastruktur, Wohnungslage und -größe, das Wohnumfeld oder Aspekte des sozialen Nutzens (Status).

Geografische Methode oder: Gleich und Gleich gesellt sich gern

Eine geografische Segmentierung teilt in Landkreise, Städte, Bezirke, Stadtviertel, Quartiere etc. ein. Eine mikrogeografische Segmentierung trägt der Erkenntnis "Gleich und Gleich gesellt sich gern" Rechnung. Menschen mit ähnlichem sozialem Status und Lebensstil sowie, daraus resultierend, vergleichbarem Verhalten konzentrieren sich an bestimmten Wohnorten.

Grob unterscheidet die Immobilienwirtschaft derzeit die Zielgruppe der jungen Leute, junge Familien und 60 Plus. Für diese Klientel hat fast jedes Unternehmen irgendetwas im Angebot. Und genau das ist das Problem, fällt es dadurch doch schwer, sich gegenüber der Konkurrenz abzugrenzen. Neu hinzugekommen sind in der Vergangenheit im Zuge der zunehmenden Mobilitätsanforderungen der Arbeitswelt die Pendler sowie die Unterscheidung nach ethnischen Gesichtspunkten.

Zielgruppe für die eigenen Produkte herausfiltern

Im Immobilienunternehmen selbst muss die Frage beantwortet werden: Welche der von den Fachleuten definierten Zielgruppen soll ich ansprechen. Im ersten Analyseschritt werden alle Segmente, die mit den Unternehmenszielen nicht kompatibel sind, von der weiteren Beurteilung ausgeschlossen. Wer als Bestandshalter seine Wohnungen unter dem Dach ohne Aufzug losschlagen will, kann keine älteren Menschen oder junge Familien mit Nachwuchs und Kinderwagen ins Auge fassen. Das Produkt der anvisierten Zielgruppe anpassen kann nur, wer neu baut. Alle anderen müssen schauen, die richtigen Kunden für die vorhandenen Unterkünfte herauszufiltern. Teil zwei ist schon schwieriger: Welche mögliche Zielgruppe spreche ich gezielt an? Was lohnt sich finanziell und aus unternehmerischer Sicht am meisten? Als Bewertungskriterium können beispielsweise Wachstumspotenziale (Umsatz/Absatz) oder Wettbewerbsintensität im betreffenden Segment herangezogen werden.

Sind diese Entscheidungen gefallen, lautet die spannende Frage: Welche Instrumente im Marketing-Mix, welche Kampagnen und Maßnahmen eignen sich, um mich und meine Angebote als die erste Wahl in die Köpfe der von mir ausgewählten Zielgruppe zu bugsieren? Auszuwählen sind die richtigen Immobilien für die Klientel, die kommunikativen Wege, um sie zu erreichen, sowie die Preis-, Vertriebs- und Servicepolitik. (gg)

Der Autor: Jörg Erpenbach ist Geschäftsführer der Business and Information Technology School (Bits), Iserlohn, und dort Prodekan des Studiengangs Corporate Management.

Der Theorie folgt die Praxis. In der kommenden Ausgabe zeigen wir zielgruppenorientierte Kampagnen der Immobilienwirtschaft - gute und weniger gute.

Personentypen:

Erwin

Erwin hat in Jahrzehnten harter Berufsarbeit als Facharbeiter, Meister oder Landwirt für sich und die Seinen einen bescheidenen Wohlstand aufgebaut. Er ist der Ernährer und damit das Oberhaupt seiner Familie. Für sich selbst ist er eher anspruchslos, steht mit beiden Beinen im Leben und hat über alles eine unverrückbare Meinung. Der Altersschwerpunkt liegt bei über 40 Jahren, 87 Prozent der "Erwins" sind verheiratet und leben meist in Zwei-bis-drei-Personen-Haushalten. Sie haben Volks- oder Hauptschulabschluss mit abgeschlossener Berufsausbildung. Nur noch etwas mehr als ein Drittel aller "Erwins" ist berufstätig. Erwin hält an geregelten Verhältnissen im Beruf und im Haus fest. Sein Wertesystem ist geprägt durch Werte wie Sauberkeit, Ordnung, Disziplin und Gehorsam. Erwin hat keine nennenswerten individualistischen Ansprüche, sondern strebt soziale Anpassung und Integration an. Erwin hält an den traditionellen Geschlechterrollen fest und lehnt Emanzipationsstreben ab. Sein Vorbild ist ein autoritäres Familienmodell. Erwin nimmt rege am sozialen Leben teil, ist für Geselligkeit zu haben, aber auch für den Rückzug ins eigene Heim. Erwin schaut gern fern, liest aber auch Illustrierte, Zeitschriften und Zeitungen. Er betreibt in seiner Freizeit Heimwerken, Autobasteln oder Gartenarbeit.

Jörg Erpenbach

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