Der Chef als lobender Vater

Thomas Kretschmar.

Thomas Kretschmar.

Bild: Mind Institute

Karriere 24.03.2016
Thomas Kretschmar ist einer der Väter des Finanzdienstleisters Hypoport, der u.a. mit der Marke Dr. Klein in der Baufinanzierung reüssiert. Heute führt Kretschmar eine Praxis für ... 

Thomas Kretschmar ist einer der Väter des Finanzdienstleisters Hypoport, der u.a. mit der Marke Dr. Klein in der Baufinanzierung reüssiert. Heute führt Kretschmar eine Praxis für Psychotherapie und coacht Unternehmen. Besonders Chefs von Immobilienfirmen müssten lernen, die Gefühle ihrer Mitarbeiter zu lesen, sagt er.

Immobilien Zeitung: Herr Kretschmar, wie sind Sie zur Psychotherapie gekommen?

Kretschmar: Wirtschaft und Psychologie waren schon immer parallele Interessen von mir. In meinem ersten Job war ich acht Jahre Organisationsberater unter der Leitung eines Psychologen. Jetzt bin ich zu meinem alten Steckenpferd zurückgekehrt. Die Erfahrung als ehemaliger Vorstand bei Hypoport und Dr. Klein ist dabei sehr wichtig für meinen heutigen Beruf: Die Klienten wollen mit jemandem sprechen, der die Themen des Managements kennt.

IZ: Sie behaupten, das Wirtschaftsleben sei im Grunde irrational und erscheine nur deshalb rational, weil wir unsere Bauchentscheidungen nachträglich mit sachlichen Argumenten unterlegten. Ist das Ihr Ernst?

Kretschmar: Absolut. In den 1980er Jahren vertraten Neurowissenschaftler sogar die Ansicht, dass es überhaupt keinen freien Willen gibt, sondern alle Gehirnfunktionen - also auch Entscheidungen - nur die Folge biochemischer Reaktionen sind. Heute spricht man eher von einer Art Tendenzapparat. Die Gefühle schränken die Handlungsvarianten, unter denen wir auswählen, stark ein.

IZ: Klingt ziemlich abstrakt.

Kretschmar: Die psychologische Forschung hat hier in den letzten 30 Jahren viel hervorgebracht. In einem Experiment wurden beispielsweise Führungskräften vor einem Gespräch mit Bewerbern mal heiße und mal kalte Getränke gereicht. Die Bewerber, die sich bei dem warmen Getränk präsentierten, wurden tendenziell eher bevorzugt. Das ist natürlich keine absolute Regel, aber die Tendenz ändert sich zugunsten dieser Bewerber. Deshalb der Ausdruck Tendenzapparat.

IZ: Manager, sagen Sie, "re-inszenieren das Trauma des inneren Kindes" im betrieblichen Alltag. So könnten wichtige Entscheidungen wie Markteintritte, Produktänderungen oder Betriebsschließungen von sehr persönlichen Lebensumständen beeinflusst sein, mit möglicherweise fatalen wirtschaftlichen Auswirkungen für die Firma.

Kretschmar: Mit dem Trauma des inneren Kindes sind die Enttäuschungen gemeint, die wir alle in unserer frühkindlichen Entwicklung erleben mussten. Wir gehen heute davon aus, dass jeder Mensch in der einen oder anderen Richtung, und natürlich mit unterschiedlicher Heftigkeit, emotionalen Mangel erlebt hat, infolge dessen die Persönlichkeit in die Gegenrichtung kompensierte. So wird die Persönlichkeit beispielsweise misstrauisch, selbstbewusst oder gewissenhaft. All das gehört zu unserer normalen psychischen Entwicklung. Gefährlich wird es nur, wenn jemand eine betriebliche Entscheidung trifft, um damit der Mutter oder dem großen Bruder etwas zu beweisen.

IZ: Ein Buch von Ihnen heißt "Die Kraft der inneren Bilder nutzen". Wie geht das?

Kretschmar: Manager sind in der Regel aufgeschlossene, neugierige Menschen, die auch mal etwas Neues ausprobieren wollen. In einem Forschungsprojekt habe ich vor zwei Jahren 32 Vorstandsvorsitzende besucht, die ich vorher nicht kannte. Alle waren nach zehn Minuten Kennenlernen bereit, sich ähnlich wie im autogenen Training von mir in die Entspannung führen zu lassen und eine Fantasiegeschichte über den Geist ihres Unternehmens zu entwickeln. Alle waren dann auch bereit, diesen Geist zu malen.

Wir müssen die bewusste Steuerung ausschalten, um an unbewusste Zusammenhänge zu kommen. Das geht spielerisch mit Imaginationen, aber auch mit Assoziationsübungen. Wichtig ist, dass die Methoden für den Klienten keinen Sinn zu machen scheinen. Dann zeigt sich das Unbewusste.

IZ: Was ist der Unterschied zwischen Coaching und Therapie?

Kretschmar: Coaching setzt bei psychisch gesunden Klienten an, die sich weiterentwickeln wollen. Es geht nicht darum, eine Störung zu beseitigen, sondern eine konkrete betriebliche Frage zu lösen. Daher spielt hier auch unsere betriebswirtschaftliche Kompetenz eine Rolle. Klienten kommen zu uns, weil sie verstehen wollen, warum Geschäftspartner sich scheinbar nicht nachvollziehbar verhalten, wie ihre eigene Persönlichkeit strukturiert ist, man zwischenmenschliche Konflikte löst, eine schwierige Entscheidung trifft oder Veränderungen im Unternehmen mit minimalem Widerstand umsetzt.

IZ: Einmal rief Sie der Geschäftsführer von einem Facility-Management-Unternehmen, das durch Auslagerung entstanden war, zu Hilfe: Der Krankenstand war auf 15% angewachsen, die psychischen Erkrankungen hatten um 25% zugenommen. Was konnten Sie ausrichten?

Kretschmar: Die Mitarbeiter hatten Ängste, über die nicht gesprochen wurde, die Führung agierte wie in einem Elfenbeinturm. Es gab Vision und Strategie, aber wenig Kontakt zur Basis. Die Mitarbeiter sprachen von "denen da oben". Wir vermittelten zunächst Grundlagenwissen über den Umgang mit psychischen Belastungen. Dann haben Führungskräfte, Meinungsführer und Freiwillige unter den Mitarbeitern ein Einzel-Coaching durchlaufen. Diese Teilnehmer waren dann Multiplikatoren, die zur Entspannung in den Abteilungen beigetragen haben. Parallel haben wir Workshops mit sehr kleinen und großen Gruppen durchgeführt. Das war offener und ergebnisreicher, als die Unternehmensleitung erwartet hatte.

IZ: Und was ist nun mit dem Krankenstand?

Kretschmar: Bei einer Senkung des Krankenstands um einen Prozentpunkt hätte das Unternehmen die Projektkosten wieder drin gehabt. Aktuell liegt er bei 11%, also vier Prozentpunkte besser.

IZ: Aus Ihrer Zeit bei Hypoport dürften Sie die Immobilienbranche gut kennen. Treten bestimmte Phänomene dort häufiger auf als in anderen Branchen?

Kretschmar: In unterschiedlichen Branchen haben wir es mit unterschiedlichen psychischen Konstitutionen und Ressourcen zu tun. Die Immobilienwirtschaft hat den Ruf der Langfristigkeit und Sicherheit. Das zieht einen bestimmten Mitarbeitertyp an, für den der Chef wie Vater oder Mutter sein muss. Solche Mitarbeiter wollen alles richtig machen, brauchen aber auch viel Lob und eine klare Aufgabenzuweisung. Ihnen ist es nicht so wichtig, was am Markt passiert oder was die Wettbewerber machen, wenn nur der Chef zufrieden mit ihnen ist.

IZ: Interessant ...

Kretschmar: Das ist nur eine Tendenzaussage und gilt natürlich nicht für jeden. Aber dieser Mitarbeitertyp kommt in der Immobilienbranche häufiger vor. Deshalb müssen Führungskräfte hier mehr als in anderen Branchen lernen, die Gefühle ihrer Mitarbeiter zu erkennen, die unvermeidbaren Risiken mit ihnen auszuhalten und eine reife Emotionalität zur Verfügung zu stellen.

IZ: Herr Kretschmar, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Harald Thomeczek.

Harald Thomeczek

Weitere Nachrichten aus der Rubrik Karriere

Immobilienprofis im Porträt: Katharina Biermann

Den Arbeitstag verbringt Katharina Biermann zwar meistens im Büro, ihre Freizeit aber gerne in der Natur.

Den Arbeitstag verbringt Katharina Biermann zwar meistens im Büro, ihre Freizeit aber gerne in der Natur.

Karriere 23.03.2023
Katharina Biermann wurde 1980 in Osnabrück geboren und wuchs in Bad Iburg auf. Inzwischen wohnt und arbeitet sie in Berlin, wo sie den Standort des Gewerbeimmobilienberaters Avison Young ... 

Katharina Biermann wurde 1980 in Osnabrück geboren und wuchs in Bad Iburg auf. Inzwischen wohnt und arbeitet sie in Berlin, wo sie den Standort des Gewerbeimmobilienberaters Avison Young leitet und Teil der Geschäftsführung ist. Dabei wurde ihr Interesse für Immobilien nur zufällig geweckt, als sie während des Studiums aus Langeweile mit einer Freundin eine Vorlesung an der European Business School besuchte. Und tatsächlich: Nach einer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin und einem Abstecher ins Modebusiness fasste sie in der Branche Fuß und schätzt an ihrem Beruf, die Arbeits- und Lebenswelten von Menschen zum Positiven wandeln zu können.

Wo wohnen Sie zurzeit?
Zur Miete in einer sanierten Aufzugsfabrik in Berlin-Mitte mit einem Balkon und Blick nach hinten auf eine Schauspielschule.

Wo ist Ihr Lieblingsplatz in der Wohnung? Und warum?
Auf dem Sofa mit Blick nach draußen, am Sonntagsmorgen mit dem ersten Kaffee in der Hand und Sonnenstrahlen im Gesicht.

Was muss die perfekte Wohnung oder das perfekte Haus unbedingt haben?

Weitblick und Ruhe – im Idealfall höre ich nur die Vögel zwitschern. Das ziemliche Kontrastprogramm zur Geräuschkulisse in Mitte.

Wie und wo möchten Sie im Alter gerne wohnen?
Gerne im Grünen, freistehend und ohne direkte Nachbarn. Die nächste Stadt darf aber nicht zu weit entfernt sein, für Kultur und Amüsement

Wie haben Sie als Erwachsene zum ersten Mal Geld verdient?

Mein erstes Geld habe ich mit Kellnern verdient, von 16 bis 19. Zählt das? Ansonsten wäre es die Ausbildung zur Steuerfachangestellten vor dem Studium – da habe ich gelernt, was mir nicht so Spaß macht.

Was braucht man, um es in Ihrem Job zu etwas zu bringen?

Lust, mit Menschen zu arbeiten, Energie, voraus und um die Ecke zu denken, und Standhaftigkeit, auch nach Niederlagen weiter positiv zu bleiben.

Was stört Sie in der Immobilienbranche (am meisten)?
Eine gewisse Oberflächlichkeit und dass manchmal Quantität vor Qualität steht.

Und was finden Sie besonders gut?
Dass wir mit einem wunderbaren Produkt arbeiten und mit unserer Arbeit das Arbeits- und Lebensumfeld von vielen Menschen zum Positiven wandeln können.

Baulöwe, Miethai, Heuschrecke: Leute, die mit Immobilien Geld verdienen (wollen), haben nicht immer den besten Ruf. Zurecht?
Es gibt immer solche und solche, da ist unsere Branche keine Ausnahme. Ich persönlich sehe viele Menschen, die für ihre Arbeit brennen, sich ernsthaft engagieren und etwas Positives bewirken wollen.

Sie würden jungen Leuten raten, den Weg in die Immobilienwirtschaft einzuschlagen, weil... …es in unserem Job nie langweilig wird.

Wie feiern Sie Ihre Erfolge?

Mit dem Team, Familie und Freunden, und gern auch einem Glas Champagner.

Und wie gehen Sie mit Misserfolgen um?

Die gehören in unserer Branche dazu, man kann nicht immer gewinnen. Wichtig ist, aus Fehlern zu lernen und den Blick nach vorne zu richten.

Was bringt Sie auf die Palme – privat und beruflich?

Privat: Unzuverlässigkeit, beruflich: mangelnde Professionalität.

Homeoffice, Büro oder mobil in der Bahn? Wo arbeiten Sie am häufigsten?

Ganz Old School im Büro, weil ich dort nah am Team bin und wir auf kurzem Wege und persönlich kommunizieren können.

Was wären Sie heute gerne, wenn nicht Immobilienprofi?

Das wäre etwas ganz Anderes. Ich habe ein ausgeprägtes Interesse für das Leben im Einklang mit der Natur, für Ernährung, körperliche und mentale Gesundheit. In diese Richtung würde es gehen.

Wo oder wie können Sie sich besonders gut entspannen oder abschalten?

Beim Sport und auf Reisen.

Wenn Sie an Ihren letzten Urlaub denken, denken Sie an was?

Sonne, Meer und griechischen Salat.

Für welches private Vergnügen haben Sie zu wenig Zeit?

Sport und Reisen.

Wie gehen Sie am liebsten aus?

Am liebsten erst ein bisschen Kultur, dann etwas essen und/oder in eine Bar. Es gibt so viele tolle Locations in Berlin, und ständig kommen neue hinzu. Zu meinen Favoriten in Mitte gehören zum Beispiel das Crackers oder Cookies Cream, Muret la Barba und die Bar Milano.

Verraten Sie uns auch noch Ihr Lieblingsgericht?

Dicke Bohnen mit Kartoffeln. Esse ich leider viel zu selten.

Haben Sie eine Lieblingsimmobilie?

Ich war kürzlich im Louisiana Museum in Kopenhagen, das hat mich nachhaltig beeindruckt – die Mischung aus Lage, Natur und Architektur ist einfach grandios.

Und welches Gebäude in Deutschland würden Sie gerne abreißen und warum?

Ich bin kein großer Fan von Abreißen.

Gibt es etwas im Ausland, das Sie in Deutschland vermissen?

Wir Deutschen sind oft viel zu regeltreu und verbohrt. Da könnten wir – und ich nehme mich da selbst nicht raus – uns in puncto Gelassenheit und Dolce Vita viel von anderen Nationen abgucken.

Sie haben 100.000 Euro zur freien Verfügung und müssen das Geld komplett ausgeben – welchen Traum erfüllen Sie sich?

Ein Jahr Pause und um die Welt – Surfen, Yoga, Safari. Was übrig bleibt, spende ich.

Das Interview führte Janina Stadel.

Janina Stadel

Studiengang der ISM Hamburg erhält Zertifikat von Rics

Karriere 23.03.2023

München trennt sich von Gewofag-Chef Klaus-Michael Dengler

Klaus-Michael Dengler muss seinen Hut nehmen.

Klaus-Michael Dengler muss seinen Hut nehmen.

Quelle: Gewofag, Urheber: Stephan Rumpf

Karriere 17.03.2023
Die Stadt München hat mit sofortiger Wirkung die Zusammenarbeit mit Gewofag-Geschäftsführer Klaus-Michael Dengler beendet. ... 

Die Stadt München hat mit sofortiger Wirkung die Zusammenarbeit mit Gewofag-Geschäftsführer Klaus-Michael Dengler beendet.

Klaus-Michael Dengler, bisher Geschäftsführer der städtischen Münchner Wohnungsgesellschaft Gewofag, ist über die sogenannte Schriftproben-Affäre gestolpert. In einem Gespräch mit Münchens dritter Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD), die dem Aufsichtsrat der Gewofag vorsteht, sei man „gemeinsam zu dem Schluss gekommen, dass es hinsichtlich des forensischen Gutachtens nicht möglich ist, das Vertrauen zwischen Geschäftsführer und den Gremien wiederherzustellen“. Sie habe daher Denglers „Angebot angenommen, dem Aufsichtsrat vorzuschlagen, die Zusammenarbeit mit sofortiger Wirkung zu beenden“. Ein kommissarischer Nachfolger soll bald feststehen.
Alexander Heintze