Das Frauenquötchen

Diesen sieben Vorstandsfrauen bei börsennotierten Unternehmen der Immobilienwirtschaft im Dax, MDax und SDax stehen nach Recherchen der Immobilien Zeitung 73 männliche Kollegen gegenüber.

Diesen sieben Vorstandsfrauen bei börsennotierten Unternehmen der Immobilienwirtschaft im Dax, MDax und SDax stehen nach Recherchen der Immobilien Zeitung 73 männliche Kollegen gegenüber.

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Karriere 03.12.2020
Die Frauenquote für Vorstände kommt. Allerdings gilt die Mindestbeteiligung über alle Branchen hinweg nur für rund 70 Unternehmen. In der Immobilienbranche sind Hochtief und die ... 

Die Frauenquote für Vorstände kommt. Allerdings gilt die Mindestbeteiligung über alle Branchen hinweg nur für rund 70 Unternehmen. In der Immobilienbranche sind Hochtief und die W&V-Gruppe mit Wüstenrot betroffen. Die Chefetage von Deutsche Wohnen, immerhin im DAX notiert, hingegen darf frauenfrei bleiben.

Es war eine schwere Geburt, und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spielte den Geburtshelfer, als er sich vor wenigen Wochen überraschend für die Frauenquote in Vorständen aussprach. Der Widerstand in der Union, allen voran von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), war gebrochen. Es war auch an der Zeit. Seit fünf Jahren verpflichtet der Gesetzgeber im Führungspositionengesetz (FüPoG) rund 3.500 Unternehmen, die börsennotiert oder mitbestimmt sind, dazu, sich selbst Ziele für Frauenanteile in ihren Führungsgremien zu setzen. Etwas mehr als 100 voll bestimmte Börsenunternehmen unterliegen seit 2015 einer fixen Geschlechterquote von 30% für die Aufsichtsräte. Trotzdem hat sich seither in den Vorständen herzlich wenig in Richtung Geschlechterparität getan. Dass der Quote für die Aufsichtsräte jetzt die Quote für die Vorstände folgt, ist darum keine Überraschung.

"Noch liegt kein Gesetzesvorschlag vor, deshalb wissen wir nicht genau, was auf welche Unternehmen zukommt", sagt Katharina Stüber, Rechtsanwältin bei der Kanzlei Allen & Overy in Frankfurt. Die Koalitionspartner, die sich nun im Grundsatz einig sind, stehen unter Zeitdruck: "Ist das Gesetzgebungsverfahren nicht bis spätestens Juni durch, käme die Quote in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr - und wäre gescheitert."

Anfang 2022 soll die Quote in Kraft treten

An die Rolle rückwärts glaubt nach Söders Positionierung niemand ernsthaft. Schließlich gibt auch die Kanzlerin den beiden SPD-Bundesministerinnen Franziska Giffey (Familie, Senioren, Frauen und Jugend) und Christine Lambrecht (Justiz) Rückendeckung. Der Fahrplan sieht so aus: Im Januar 2021 soll sich das Bundeskabinett mit der FüPoG-Novelle befassen. Im April 2021 soll das Gesetz verabschiedet werden, im Januar 2022 in Kraft treten. Fraglich ist allerdings noch die genaue Ausgestaltung, und der Teufel steckt bekanntlich im Detail.

Ob das, worauf sich die Große Koalition im Prinzip verständigt hat, direkt zu einer "angemessenen" Berücksichtigung von Frauen auf Top-Positionen führt, ist fraglich. Die Auswahlkriterien, auf die sich die Entscheider in der Politik geeinigt haben, sind nämlich ziemlich eng: Nur börsennotierte, paritätisch mitbestimmte Unternehmen mit mehr als drei Vorstandsmitgliedern fallen unter die Vorstandsquote. Das erscheint willkürlich: "Ein innerer Zusammenhang zwischen den Kriterien der Börsennotierung und der paritätischen Mitbestimmung mit der Frauenquote besteht nicht", sagt Stüber. "Es ging darum, möglichst viele große Unternehmen zu erfassen, ohne die Welt neu sortieren zu müssen. Sonst hätte man ein Problem mit dem Timing bekommen." Große GmbHs zum Beispiel, selbst wenn sie tausende Mitarbeiter beschäftigen, fallen raus.

Betroffen sind 73 Börsenunternehmen

Nach einer Analyse der Initiative Frauen in die Aufsichtsräte (Fidar) erfüllen 73 Unternehmen in Deutschland alle drei Kriterien. Die 2015 eingeführte Frauenquote für die Aufsichtsräte börsennotierter und voll mitbestimmter Unternehmen gilt laut Fidar aktuell für 107 Unternehmen, nicht alle haben einen Vorstand mit mehr als drei Personen. Laut dem jüngsten Allbright-Bericht von September 2020 stehen in den Chefetagen der 160 Unternehmen in DAX 30, MDAX und SDAX exakt 671 Vorstandsstühle. "Nehmen wir eine Quote von 30% an, wären 201 Sitze für Frauen vorzusehen. Derzeit sind nur 68 Positionen in weiblicher Hand", rechnet Susanne Eickermann-Riepe, Vorstandsvorsitzende des Instituts für Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft (ICG), vor.

Für Unternehmen mit einer Mehrheitsbeteiligung des Bundes soll eine Aufsichtsratsquote von 30% und eine Mindestbeteiligung in Vorständen gelten, wie auch bei Körperschaften des öffentlichen Rechts. Nicht alle Unternehmen, die den Bund im Namen tragen, sind betroffen. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) etwa, die die Rechtsform einer "bundesunmittelbaren, rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts" hat, fällt nach den derzeitigen Planungen nicht darunter.

Viele Ausnahmen

Aus der Immobilienwelt stehen auf der Liste von Fidar nur der Baukonzern Hochtief und Wüstenrot & Württembergische, die Dachgesellschaft der Bausparkasse Wüstenrot. Beide haben rein männlich besetzte Vorstände mit vier bzw. sieben Herren.

Die im DAX gelisteten Aktiengesellschaften Vonovia und Deutsche Wohnen fallen nicht unter die Quote.

Von der Frauenquote für Vorstände betroffene Unternehmen, die u.a. mit Tochtergesellschaften als Finanzierer, Asset- und Fondsmanager sowie Investoren eine Rolle in der Immobilienwirtschaft spielen, sind Commerzbank und Deutsche Bank, auch die Versicherer Allianz, Munich Re und Talanx.

Auch die Aareal Bank und der auf die Bau- und Immobilienwirtschaft spezialisierte Softwareentwickler Nemetschek, zwei Unternehmen aus dem MDAX, tangiert die Quote nicht, denn sie unterliegen nicht der vollen Mitbestimmung. Letzteres hat sich wie Deutsche Wohnen und Vonovia schon vor Jahren in eine europäische Aktiengesellschaft (Securitas Europaea, kurz SE) umgewandelt. Gewerkschaftern zufolge dient der Wechsel in die SE nicht selten dem Zweck, die Mitbestimmung zu umgehen. Immerhin: Zwei der vier Firmen haben eine bzw. zwei Frauen im Vorstand. Aroundtown, mit einem Immobilienbestand von 22 Mrd. Euro der größte börsennotierte Player auf dem deutschen Gewerbeimmobilienmarkt, ist ebenfalls nicht betroffen - das Unternehmen hat seinen Sitz in Luxemburg. Das Gleiche gilt für die 40%ige Aroundtown-Beteiligung Grand City Properties mit 63.000 Wohnungen in Deutschland.

Fidar sieht bei 32 Firmen Handlungsbedarf, darunter Hochtief und Wüstenrot & Württembergische. "Aufgrund der geringen Anzahl der relevanten Positionen ist sicher, dass genügend weibliche Top-Führungskräfte zur Verfügung stehen", urteilt Headhunter Werner Knips von Heidrick & Struggles mit Blick auf die Immobilienwirtschaft. "Bereits heute gibt es ausreichend weibliche Talente in den Funktionen CFO, HR, Legal und Digital." Er ergänzt: "Darüber hinaus lohnt immer die Frage, ob der aktuelle Zuschnitt der Vorstandsbereiche und somit die Job-Description für die zu besetzende Position den zukünftigen Zielen und Strategien des Unternehmens gerecht wird." Das ICG hat vor einigen Jahren ein Diversity-Programm aufgebaut und fördert Frauen etwa durch Mentoring sowie Weiterbildung und Vernetzung. "Ein Argument ist ja immer, man wisse nicht, wo man Kandidatinnen für Vorstand und Aufsichtsrat finden könne - nun, hier sind einige!", sagt Manuela Better aus dem Vorstand des ICG.

Auf eine Frau im Vorstand kommen neun Männer

Nur wenn ein Vorstandsmitglied eines nur mit Männern besetzten Gremiums ausscheidet, muss eine Frau an Bord geholt werden. Alternativ kann das Gremium um eine Position erweitert werden, die mit einer Frau besetzt wird. Befürworter der Quote hoffen auf einen Sinneswandel, der die Chefetagen erfassen soll. "Ich war jahrelang gegen die Quote. Wir wollen doch eine freie Wirtschaft und die besten Kräfte an der richtigen Stelle", sagt Anwältin Stüber. Doch die Selbstverpflichtung der Unternehmen hat nicht gefruchtet, wie eine Studie von Allen & Overy belegt. "Fünf Jahre nach der Einführung der freiwilligen Quote sind Frauen in den Vorständen kaum anzutreffen, und die meisten Unternehmen halten sich mit ehrgeizigen Zielen zurück."

Denn bei den seit 2015 geltenden Normen sind keine Mindestzielgrößen vorgegeben. Die Zielgröße null ist erlaubt, wenn damit nicht der Status quo unterschritten wird. Sanktionen sind bislang nicht vorgesehen. Das soll sich laut Referentenentwurf für das neue FüPoG ändern. Unternehmen, die sich auch künftig das Ziel null Frauen im Vorstand setzen, ohne dies gut zu begründen, drohen "empfindliche Bußgelder".

Speziell in der Immobilienwirtschaft ist der Einsatz der Brechstange anscheinend unumgänglich. Hier sind Frauen besonders selten auf dem Top-Level aufzufinden. Daran wollen viele Unternehmen auch nicht groß was ändern, wie die freiwilligen Zielsetzungen für Frauenanteile auf Führungsebenen zeigen (vgl. "Frauen an die Spitze", IZ 22/20). Von 24 Firmen in DAX, MDAX und SDAX, die man der Immobilienbranche zurechnen kann, haben 14 keine Frau im Vorstand, zeigt der September-Bericht der Allbright-Stiftung. Mit dem Ziel 0% Frauen im Vorstand sind u.a. Hochtief und Deutsche Wohnen verzeichnet.

Die Quote ist ein heikles Thema. Sonja Wärntges, Stand September eine von nur fünf weiblichen Vorstandsvorsitzenden der 160 Firmen von DAX bis SDAX und die einzige Immobilien-CEO, stand für ein Gespräch mit der Immobilien Zeitung (IZ) nicht zur Verfügung. Im DUB Unternehmer-Magazin hatte sich die Chefin von DIC Asset vor einiger Zeit gegen eine Vorstandsquote ausgesprochen: "Aus unternehmerischer Perspektive bin ich bezüglich mehr Regulatorik eher zurückhaltend und bevorzuge daher das Instrument der Eigenverantwortung."

Deutsche Wohnen setzt Zielquote im Vorstand auf 20% hoch

Michael Zahn, CEO von Deutsche Wohnen (DW), wollte mit der IZ ebenfalls nicht über die Quote reden. In einem Podcast-Gespräch mit Stephanie Baden, Geschäftsführerin des Urban Land Institute (ULI) für die Dach-Region und zugleich Gründungsmitglied der Initiative Frauen in Führung (FiF), bezog Zahn unlängst jedoch Stellung: "Ich bin kein Freund von Quote und ich bin kein Freund von staatlichen Vorgaben. Ich möchte am Ende des Tages ein erfolgreiches Team." Der DW-Aufsichtsrat hat die Zielquote für den Frauenanteil im Vorstand in seiner Septembersitzung von 0% auf 20% hochgesetzt. Erreicht haben will das Gremium dies bis zum Jahr 2025. Der DW-Aufsichtsrat selbst ist seit Juni 2020 mit zwei Frauen bestückt, das entspricht einem Anteil von 33%. Zahn betont im ULI-Podcast: "Wir beschäftigen mehr als 1.000 Mitarbeiter - von denen sitzen vier im Vorstand. Entscheidender ist doch: Fördern wir Frauen im Unternehmen? Das tun wir." Tatsächlich liegt der Anteil weiblicher Führungskräfte bei DW laut Unternehmenssprecherin Julia Kieslinger bei 48%.

Helene von Roeder, im Vorstand von Vonovia für die Finanzen zuständig, hält dagegen. "Wenn ich jemanden befördere - und das gilt gerade auf Vorstandsebene -, habe ich das Risiko, ob es funktioniert. Habe ich gelernt, dass es mit einem bestimmten Typ Manager in der Vergangenheit gut geklappt hat, leite ich aus meinem persönlichen Erfahrungsschatz ab: Wahrscheinlich klappt das auch beim nächsten Mal. Bei einer Frau kann ich das vielleicht weniger gut einschätzen, weil es noch so wenige weibliche Rollenmodelle in Führungspositionen gibt", argumentiert sie pro Quote. "Wir müssen alle viel öfter erleben, dass man viel dazugewinnt, wenn man eine Frau befördert."

"Wir werden die neue Regelung gern umsetzen"

Der spanische Vorstandsvorsitzende von Hochtief, Marcelino Fernández Verdes, den die geplante Vorstandsquote als einen der wenigen tatsächlich betreffen wird, demonstriert Gelassenheit: "Wir werden die neue Regelung gern umsetzen", teilt ein Sprecher im Namen des CEO mit. "Der Hochtief-Vorstand ist seit Jahren ein stabiles, eingespieltes und erfolgreiches Team. Sollten irgendwann Veränderungen anstehen, werden wir alle Kandidatinnen und Kandidaten prüfen und die besten Entscheidungen für das Unternehmen treffen." Wann genau der nächste Vertrag eines der vier Vorstandsmitglieder ausläuft, möchte das Bauunternehmen nicht sagen, dem Geschäftsbericht lässt sich diese Information nicht entnehmen.

Verfechter der Quote feiern den Durchbruch in den (sozialen) Medien. Wasser in den Wein gießt Fidar-Präsidentin Monika Schulz-Strelow: "Wer entscheidet über die Zusammensetzung des Vorstands? Der Aufsichtsrat. Wir brauchen die Quote für Vorstände, weil die Aufsichtsräte versagt und auf freiwilliger Basis keine substanziellen Ziele gesetzt haben. Aber die Wirkung des FüPoG 2 wäre ungleich größer, wenn die Quote für Aufsichtsräte von bisher gut 100 Unternehmen wie ursprünglich geplant auf etwa 590 ausgeweitet worden wäre." Diese Ausweitung fiel offenbar einem Kompromiss in der Großen Koalition zum Opfer: Die einen bekamen die Vorstandsquote, die anderen konnten den Schaden in Grenzen halten. Das Bundesfrauenministerium geht auf Anfrage hierauf nicht ein. Im Referentenentwurf für das FüPoG 2 ist noch explizit die Rede von einer geplanten "Erweiterung des Anwendungsbereichs der fixen Aufsichtsratsquote auf alle paritätisch mitbestimmten Unternehmen" - egal, ob sie börsennotiert sind oder nicht.

Die Hoffnung ruht auf einer Signalwirkung

Allen-&-Overy-Juristin Stüber glaubt dennoch: Selbst wenn die Quote ein Stück weit Symbolpolitik sein mag, könnte sie eine gewisse Signalwirkung zeitigen. "Die Wirkung von Role Models ist nicht zu unterschätzen, auch wenn es erstmal nur um ca. 30 Vorstandspositionen geht, die künftig mit Frauen besetzt werden müssen. Und auch bei den anderen ca. 40 betroffenen Unternehmen, die jetzt schon eine Frau im Vorstand haben, wird es Personalwechsel geben, bei denen dann die Quote greift." Schulz-Strelow rechnet allerdings mit "vielen vorzeitigen Vertragsverlängerungen im nächsten Jahr", also noch rechtzeitig vor Inkrafttreten der Quote. So könnten sich die Unternehmen bis 2024 oder 2025 Luft verschaffen - mehr als ein paar Jahre voraus dächten viele in ihrer Personalpolitik ja nicht.

Harald Thomeczek

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"Ich bin Gründerin, weil ich Haltung zeigen will"

Heike und Lena Rath.

Heike und Lena Rath.

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1994 machte sich die Immobilien-Fachanwältin Heike Rath selbstständig. Inzwischen führt sie zusammen mit ihrer Nichte Lena die Kanzlei Rath Rechtsanwältinnen. ... 

1994 machte sich die Immobilien-Fachanwältin Heike Rath selbstständig. Inzwischen führt sie zusammen mit ihrer Nichte Lena die Kanzlei Rath Rechtsanwältinnen.

"Ich kenne keinen Selbstständigen aus meiner Generation, der weniger als 50 bis 60 Stunden pro Woche gearbeitet hat", sagt Heike Rath. "Um zu gründen, braucht man eine große Bereitschaft, extrem hohen Einsatz zu zeigen", weiß die 62-Jährige aus eigener Erfahrung.

Diese Bereitschaft hat die Anwältin 1994 mitgebracht, als sie als "Einzelkämpferin", wie sie es heute nennt, die Kanzlei ins Leben rief. "Es gab so viele Babyboomer, dass man nur durch Fleiß und viel Einsatz aus der Masse herausstechen konnte, wenn man herausragend begabt war", beschreibt sie die Konkurrenzsituation, der sie in der Anfangszeit ausgesetzt war.

Ihre vorherige Tätigkeit bei der Architektenkammer Hessen gab sie damals auf. Aus dieser Position hat sie aber jede Menge Kontakte mitgebracht, um sich von Anfang an auf das Architekten- und Immobilienrecht spezialisieren zu können. "Dieses Netzwerk war eine gute Voraussetzung für mein Vorhaben", sagt sie. Dass bereits ihre Eltern Unternehmer waren, habe sie geprägt und auf die Arbeitsbelastung vor allem in den ersten Jahren vorbereitet.

"Ich habe zeitweise bis zu 30 Tage im Jahr in Fortbildungen gesteckt, ein Vielfaches dessen, was Pflicht ist", berichtet sie. In ihrem Umfeld habe es dafür nicht immer nur Verständnis gegeben, "aber es ist bis heute mein eigener Anspruch und es macht einfach immer noch Spaß." Belohnt wurde sie damit, dass sie ihren Arbeitseinsatz inzwischen frei gestalten kann. "Das Tolle an der Selbstständigkeit ist, dass man sich seine Arbeit nach eigenen Neigungen aussuchen kann. Dazu gehört auch, Mandanten abzulehnen, weil man sich nicht mit ihren Zielen identifizieren kann, oder einfach nur aus menschlichen Gründen. Man kann Haltung zeigen und das möchte ich, denn ich sehe mich in meinem Beruf als ein Organ der Rechtspflege."

Dass ihre Kanzlei eine kleine Boutique ist, habe sie zudem immer als Vorteil für die Zusammenarbeit mit Architekten gesehen. Weil diese oft auch in kleinen Büros arbeiten, behandeln sie Rath wie ein Mitglied des eigenen Teams. Raths Mandanten vertrauen auf ihre Empfehlungen, wenn für ein Sonderproblem weitere Experten zu Rate gezogen werden müssen. So könne sie mitbestimmen, mit welchen anderen Kanzleien sie zusammenarbeitet.

Genau das schätzt Raths Nichte Lena ebenfalls. Sie sagt: "Spaß an der Arbeit ergibt sich vor allem aus dem Austausch mit den Mandanten, wenn man Bauprofis im größten Stress unterstützen, Gedanken ordnen und konstruktiv an Lösungen arbeiten kann." Deshalb schloss sie sich nach ihrem Examen ihrer Tante an. Zusammen betreiben sie als Partnerinnen die Kanzlei Rath Rechtsanwältinnen in Neu-Isenburg.

Die Wirtschaft braucht mehr Gründerinnen
Die Wirtschaft braucht innovative Geschäftsideen, die Impulse und Lösungsansätze liefern, um ihr Fortbestehen und Wachstum zu sichern. Und Menschen, die sich zutrauen, sie umzusetzen: Gründer:innen. In der Immobilienbranche sind Frauen als Unternehmensgründer unterrepräsentiert – und damit auch ihre Perspektiven.

An Stillstand war für die 43-Jährige seit dieser Entscheidung vor rund zehn Jahren dabei nicht zu denken. "Selbstständigkeit bedeutet für mich, mich weiterzuentwickeln und mit der Zukunft zu befassen und diese zu gestalten. Es gibt so viele Themen wie ESG, nachhaltiges Bauen und Digitalisierung in der Baubranche, an denen kein Vorbeikommen ist, sodass man sie mit Begeisterung angehen sollte. Das bringt Veränderungen mit sich und dabei will ich meine Mandanten unterstützen, damit sie daraus einen Erfolg für sich machen können." Konkret auf ihren Job bezogen bedeutet das, dass sich die Anwältin wie ihre Tante ständig weiterbildet und zwar weit über ihre Kernkompetenzen auf dem Gebiet Bau- und Architektenrecht hinaus.

Dabei behalte sie immer die angrenzenden Branchen im Blick. Mit Begeisterung verfolge sie zum Beispiel Entwicklungen in der IT-Branche und was ambitionierte Start-ups auf die Beine stellen. "Aus diesen Zukunftsthemen ergibt sich automatisch eine neue Sinnhaftigkeit der Arbeit. Man wächst mit seinen Aufgaben, entwickelt sich weiter und entdeckt für sich neue Themen." Ob diese Flexibilität in einer Großkanzlei als Angestellte in diesem Rahmen möglich wären, bezweifelt sie und sagt deshalb: "Den Einstieg in die Kanzlei habe ich nie bereut."

Janina Stadel

Gründerzeit in der Kanzleienszene

Die Anker-May-Gründer (v.l.): Ulrich May, Sydney Gottschalk, Charlotte Plück, Christina Penningroth und Axel Anker.

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Urheber: Nell Killius

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Die Berker-Brüder haben die Kanzlei Hauck Schuchardt (Frankfurt) verlassen, ein Team um Axel Anker und Ulrich May ist bei Zirngibl (München) ausgestiegen. Beide sind zuversichtlich, dass ihnen in Zeiten von "Firesales" die Arbeit nicht ausgeht.

Der Name Zirngibl taucht im Archiv der Immobilien Zeitung (IZ) 45 Mal auf. Die Münchner Immobilienkanzlei beriet 2023 den Asset-Manager 7280 beim Kauf einer Büroimmobilie in Düsseldorf, im selben Jahr war sie Rechtsberater für Bauwerk beim Verkauf eines Holzhybridgebäudes in München an die Kommunale Unfallversicherung Bayern.

Anker May ist in der "Anwaltsstraße" zuhause

Anfang dieses Jahres sorgte die Sozietät selbst für Schlagzeilen. Fünf Mitglieder des Immobilienrechtsteams kehrten Zirngibl den Rücken und gründeten Anker May. Die Gründer der neuen Immobilienrechtskanzlei sind Axel Anker, Ulrich May, Sydney Gottschalk, Christina Penningroth (jeweils Partner) und Charlotte Plück. Auf rund 350 qm hat sich das Start-up in der Max-Joseph-Straße 7 eingerichtet. Unter Münchner Juristen ist das die "Anwaltsstraße", weil viele renommierte Kanzleien dort ihre Büros haben.

Das Motto von Anker May lautet "Immobilie pur". Bei Zirngibl ist Immobilien- und Baurecht nur eines von mehreren Beratungsgebieten. Die Verteilung von Investitionen muss zwischen den Partnern immer wieder neu ausgehandelt werden. "Bei Anker May können wir alle Ressourcen auf eine Sache konzentrieren", sagt Ulrich May. Auch der Besuch einer teuren Immobilienmesse bedürfe nun "keiner Abstimmung" mehr. Die Entscheidung, sich selbstständig zu machen, sei dadurch erleichtert worden, "dass wir wussten, dass es weitergeht". Fast alle Mandanten aus der Zirngibl-Zeit seien ihnen erhalten geblieben.

Der Arbeit der fünf Gründer bleibt in den neuen Strukturen die gleiche. Nur Baurecht wird erst einmal eine untergeordnete Rolle spielen. "Das Bauthema haben wir vorerst bewusst hinter uns gelassen, wir werden aber mit den ehemaligen Kollegen von Zirngibl kooperieren", versichert May. Zu den Mandanten von Anker May zählen viele Projektentwickler, darunter auch Family-Offices. Einige von denen rechneten sich gerade jetzt etwas aus. "In Deutschland und insbesondere in München gibt es ja zum Glück einige große Familienvermögen. Die kamen jahrelang nicht zum Zug, weil sie die riesigen Faktoren und Preise nicht mitgehen wollten. Deren Zeit ist nun gekommen", sagt May. 2024 werde überhaupt ein "sehr interessantes" Jahr. "Die Finanzierer werden einen Perspektivwechsel vollziehen müssen. Weg von der Frage, wie viel Rendite sie bei einer Finanzierung erzielen, hin zu der Frage, wie man den Schaden etwa durch die Insolvenz einer Projektgesellschaft minimieren kann." Unlängst habe er ein Gespräch mit einer Fondsgesellschaft gehabt. "Die wollen ein Projekt im Bau kaufen. Jetzt gilt es, nur noch die Bank und den Entwickler zu überzeugen."

Allein auf das volatile Transaktionsgeschäft will sich Anker May aber nicht verlassen. "Sie können sich als Immobilienkanzlei nicht nur auf Transaktionen konzentrieren", stellt Christina Penningroth klar. "Das ist oft ein Stop-and-Go und zum Schluss wird dann häufig doch nicht gekauft. Sie brauchen auch laufendes Geschäft." Dazu zählen Beratungsmandate im Bereich Projektentwicklung und Portfolioverwaltung. "Wir nennen das unser Brot- und Buttergeschäft." Derzeit sucht die Kanzlei Verstärkung für das Immobiliensteuerrecht. "Wir wollen diesen Bereich ausbauen."

Berkers & Cie. startet auf 2.000 qm im Hochhaus

Steuern – das ist auch die Kernkompetenz von Berkers & Cie. in Frankfurt. Hinter dieser Neugründung stehen als Eigentümer (Equity-Partner) die Brüder Dominik und Severin Berker, beide Steuerberater. Zusammen mit Gitta Gehring (Rechtsanwältin/Steuerberaterin), Daniel Cehovin (Steuerberater) und Henning Schuchhardt (Steuerberater) haben sie Ende 2023 die renommierte Immobilienkanzlei Hauck Schuchardt (117 Treffer im IZ-Archiv) verlassen. Der Schritt sorgte in der Frankfurter Anwalts- und Steuerberaterszene für einiges Aufsehen, geht doch einer der Namensgeber von Hauck Schuchardt von Bord. Berkers & Cie ist vom Start weg ein mittelständischer Betrieb. Für 72 Beschäftigte wurden 2.000 qm im Global Tower im Frankfurter Bankenviertel gemietet. Die üppige Flächenausstattung in Zeiten des Homeoffice erklärt Dominik Berker so: "Wir haben uns entschieden, jedem Mitarbeiter einen festen Arbeitsplatz in einem eigenen Büro zur Verfügung zu stellen, welches sie neben der Möglichkeit, von zu Hause zu arbeiten, täglich nutzen können."

Berkers & Cie. will sich voll auf das Thema Immobilie und Steuern konzentrieren. "Auch in schwierigen Zeiten sind Steuerberatung, Jahresabschlüsse und Buchhaltung erforderlich", sagt Severin Berker. Er nennt das die "konjunkturunabhängige Basisarbeit". Sollte es mit der Branche wieder aufwärts gehen, sei "mit einem zusätzlichen Beratungsbedarf" zu rechnen, etwa durch Transaktionen. Die Zeichen für einen Aufschwung stünden nicht schlecht. EZB-Präsidentin Christine Lagarde habe auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos die erste Senkung des Leitzinses im Sommer in Aussicht gestellt. Glaube man den weiteren Leitzinsprognosen der Volkswirte, "erwarten wir in der zweiten Jahreshälfte erste Stimulierungen für den Investitions- und Transaktionsmarkt", sagt Severin Berker. Kommt es anders, sieht sein Bruder Dominik der näheren Zukunft dennoch gelassen entgegen. "Firesales, Übernahmen, Restrukturierungen" – in diesem Umfeld gebe es jede Menge Beratungsbedarf steuerrechtlicher Art. "Marktkonsolidierungen sind immer ein Feld, auf dem gerade steuerliche Fragestellungen von Relevanz gedeihen. Solche Herausforderungen mögen wir", erklärt er selbstbewusst.

Ansonsten bemühen sich die Brüder, den Weggang von Hauck Schuchardt zu entdramatisieren. "Dass Partner zu anderen Kanzleien oder in die Selbstständigkeit wechseln, ist nun wahrlich kein Novum. Wir beide sind seit mehr als 15 Jahren gemeinsam in der Steuerberatung aktiv. Die Idee, eine eigene Beratung zu gründen, schwirrte uns schon lange im Kopf herum", erläutert Dominik Berker. Seine alte Partnerschaft sah sich dennoch zu einer Pressemitteilung bemüßigt. Hauck Schuchardt habe seine "Strukturen und das Dienstleistungsangebot im Bereich Steuern überarbeitet und neu ausgerichtet". Im Mittelpunkt stehe die verstärkte "Verzahnung von juristischer und steuerrechtlicher Beratung für die Immobilienwirtschaft". Im Zuge dieser strategischen Neuausrichtung hätten zwei Partner aus dem Steuerberatungs-/Buchhaltungsbereich die Kanzlei verlassen, "um auch in Zukunft ihr rein auf traditionelle Steuerberatung ausgerichtetes Geschäft zu betreiben". Der Name der beiden ehemaligen Partner wird nicht genannt.

Christoph von Schwanenflug