Weil Unternehmen juristische Arbeitsschritte auslagern, wächst in den Anwaltskanzleien das Arbeitspensum für Experten auf dem Gebiet Immobilienrecht. Gleichzeitig steigt zwar die Zahl der ...
Weil Unternehmen juristische Arbeitsschritte auslagern, wächst in den Anwaltskanzleien das Arbeitspensum für Experten auf dem Gebiet Immobilienrecht. Gleichzeitig steigt zwar die Zahl der eingeschriebenen Studenten im Fach Rechtswissenschaften leicht an. Die Suche nach Nachwuchskräften, die die zusätzliche Arbeit auffangen können, stellt für die Kanzleien dennoch eine große Herausforderung dar.
Über eine schmale Auftragslage kann sich der Düsseldorfer Rechtsanwalt Rainer Burbulla nicht beschweren. Die Arbeit für die Anwälte habe in den vergangenen Jahren zugenommen, erklärt der Immobilienrechtler. "Der Fachkräftemangel in der Immobilienwirtschaft wirkt sich auch auf unsere Tätigkeit aus", sagt Burbulla. Viele Aufgaben, die bisher von den Unternehmen selbst übernommen wurden, werden in den vergangenen Jahren aufgrund von Personalengpässen direkt in die Anwaltskanzleien ausgelagert. Als Beispiele nennt Burbulla das Aufsetzen und Prüfen von Mietverträgen oder Recherchen zu Zahlungsrückständen von Mietern, die er vor dem Aufsetzen von Schriftstücken zum Teil selbst übernehmen muss.
Doch das gestiegene Arbeitspensum in den Kanzleien kann nicht durch zusätzliche Anwälte aufgefangen werden. Obwohl die Zahl der eingeschriebenen Studenten im Fach Rechtswissenschaften seit 2008 kontinuierlich steigt, beendeten laut einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2020 gerade einmal 15.000 Studenten erfolgreich das Studium. Das waren 13% weniger als noch im Jahr davor.
Weil auf das Studium zunächst ein Referendariat folgt, tritt der Großteil der Absolventen von 2020 erst jetzt fest in die Kanzleien ein. Gut jeder Dritte von ihnen hatte einen Bachelor- oder Masterabschluss erworben und strebte damit zum Beispiel eine Tätigkeit als Wirtschaftsjurist an.
Zu Beginn des Jahres zählten die 28 Rechtsanwaltskammern bundesweit 169.388 Mitglieder, davon 45.968 Fachanwälte (Vorjahr 45.960). Die meisten von ihnen sind im Arbeits- und Familienrecht tätig. Die Zahl der Fachanwälte für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist unter den Mitgliedern hingegen leicht gesunken und betrug zum Stichtag 1. Januar noch 3.880. Im Baurecht waren 3.145 aktiv, im Vergaberecht nur knapp über 400. Fachanwälte mit Immobilienwissen und dem Schwerpunkt Immobilienrecht werden also händeringend gesucht.
Um sie zu sich zu locken, hat die internationale Anwaltskanzlei Reed Smith Anfang des Jahres die Einstiegsgehälter für junge Anwälte erhöht. Bis zu 18% mehr verdienen sie jetzt und können jährlich ein Fixum von 130.000 Euro und zusätzliche Boni von bis zu 30.000 Euro verdienen. "Leistung zählt und wird belohnt", kommentierte Daja Apetz-Dreier, Office Managing Partnerin der Kanzlei in München, die Einführung und ergänzte: "Aber Leistung alleine reicht heutzutage nicht mehr als Faktor im internationalen Geschäft und Austausch mit unseren Mandanten. Vielmehr wollen wir Persönlichkeiten, die mit unserem Anspruch und unseren Absichten harmonieren." Auch umgekehrt reiche den Nachwuchsjuristen ein hohes Gehalt alleine nicht mehr aus, wie Octávio de Sousa, Gründungspartner vom Reed-Smith-Büro in Frankfurt, erklärt. Kandidaten, die die Kanzlei für sich gewinnen will, legen Wert auf eine persönliche Betreuung während der Onboarding-Phase, wünschen sich regelmäßige individuelle Karriereplanungen und wollen nicht nur vom Büro aus, sondern tageweise auch im Homeoffice und zu flexiblen Zeiten arbeiten können.
Dass die Themen Arbeitszeiten und Urlaubstage den jungen Anwälten zunehmend wichtig werden, hat auch Burbulla bei Bewerbungsgesprächen bemerkt. Er gründete zusammen mit seinem Partner Niklas Langguth 2017 die Kanzlei Langguth & Burbulla Rechtsanwälte mit Sitz in Düsseldorf. Der Personalstamm neben den beiden Partnern ist seitdem auf vier weitere Anwälte und vier Sekretariatskräfte gewachsen. Auch eine Auszubildende gibt es in der Kanzlei. "Wir haben unsere Mitarbeiter teilweise sehr gezielt gesucht. Auch mit der Unterstützung von Headhuntern", sagt Burbulla und fügt an: "Ich weiß, dass es allgemein viele Kanzleien gibt, die dringend nach Nachwuchskräften suchen."
Gerade kleine Kanzleien haben es laut Burbulla schwer. Denn viele Absolventen, die frisch vom Studium kommen, wollen am liebsten in genau den Schwerpunktbereich einsteigen, in dem sie ihre Abschlussarbeit geschrieben haben und mit dem sie vertraut genug sind, um sich beim Berufsstart sicher zu fühlen. Doch während in Großkanzleien mit unterschiedlichen Abteilungen nach Fachgebieten gearbeitet werden kann, sieht der Arbeitsalltag in kleinen und mittelständischen Sozietäten anders aus. Statt zu Beginn erfahrenen Kollegen zunächst zuzuarbeiten, müssen die Nachwuchskräfte in Kanzleien wie der von Burbulla und seinem Partner Langguth von Anfang an richtig ran – an die Themen und die Mandanten.
Unternehmen mit dünner Personaldecke lagern Arbeit an Kanzleien aus
"In kleinen und mittelständischen Kanzleien schätzen es die Mandanten, wenn ein Thema in einer Hand liegt", begründet Burbulla. "Gleichzeitig muss es im Immobilienbereich oft sehr schnell gehen." Wenn der Geschäftsführer eines Immobilienunternehmens mit einem Projektentwickler und den Vertretern einer finanzierenden Bank zusammensitzt, seien schnelle Entscheidungen gefragt, erklärt er. Für das Abgeben einer Frage an einen anderen zuständigen Kollegen bleibe in diesen Momenten keine Zeit. "Das macht es für Nachwuchskräfte nicht gerade einfach", weiß Burbulla.
Deswegen müssten die Nachwuchskräfte ein hohes Maß an Flexibilität in den Berufsalltag mitbringen. Und zwar sowohl in Bezug auf ihre Themen als auch auf ihre Arbeitsweisen. Zudem brauche es die Bereitschaft, sich vom Karrierestart an auch in andere Fachgebiete des Immobilienrechts einzuarbeiten. "Bei uns geht es häufig um Projektentwicklungen. Da hängen die unterschiedlichen Disziplinen wie Grundstücksrecht, Baurecht und Mietrecht eng zusammen", nennt Burbulla ein Beispiel und betont: "Man braucht den Gesamtüberblick."
Beim Recruiting von eigenen Nachwuchskräften weise er auf die notwendige Vielseitigkeit immer schon in den ersten Kennenlerngesprächen hin. "Ich habe den Eindruck, vielen Bewerbern sind diese Zusammenhänge kurz nach dem Studienabschluss noch gar nicht bewusst", sagt er. Er appelliert an mehr Mut bei den jungen Kandidaten: "Die Angst vor Fehlern ist im Anwaltsberuf fehl am Platz. Gerade am Anfang muss man auch mal bluten."
Für Rechtsanwalt Burbulla ist klar: "Die hohe Nachfrage nach juristischer Beratung wird noch ein paar Jahre anhalten." Er bereue seine Berufswahl aber auch fast 20 Jahre nach seiner Zulassung 2006 nicht und rät jungen Juristen, gezielt den Weg ins Immobilienrecht einzuschlagen: "Von der Baustelle bis zum Verhandlungssaal haben wir Einblicke in viele Welten. Ebenso vielfältig sind die Menschen, mit denen wir es zu tun haben. Wir holen sie ab, arbeiten mit ihnen, entwickeln neue Ideen und Konzepte und finden gemeinsam mit ihnen Kompromisse. Unsere Gesprächspartner reichen vom Bauarbeiter bis zum CEO."