Arbeitsschutzvorgaben sind löchrig
Die neuen Corona-Arbeitsschutzvorgaben geben Firmen Orientierung, mehr aber nicht, sagt die Arbeitsrechtlerin Annette Knoth aus der Kanzlei von Arnecke Siebeth Dabelstein.
Annette Knoth: Die Antwort ist wie oft in rechtlichen Dingen: Es kommt auf den Einzelfall an. Generell hat ein Arbeitnehmer erst einmal kein Recht, nach Hause zu gehen.
Knoth: Der Standard ist eine Richtlinie und hat keinen verbindlichen Charakter.
Knoth: Die Vorgaben dienen als Entscheidungshilfe für das, was Arbeitgeber tun sollen. Es ist ein Appell und ja, aus dem Standard ergibt sich keine Pflicht wie zum Beispiel aus einem Gesetz, alle Maßnahmen umzusetzen. Ich verstehe das jedoch als eine dem gesellschaftlichen Konsens geschuldete moralisch-psychologische Verpflichtung.
Knoth: Keine. Sanktionen gingen nur, wenn sie drin stünden. Wir kennen das aus anderen Bereichen. Geldbuße, Punkt in Flensburg, Betriebsschließung. So etwas fehlt jedoch im Arbeitsschutzstandard Covid-19.
Knoth: Die Richtlinie lässt ihm jede Menge Spielraum, insbesondere aufgrund der sehr schwammigen Formulierung. Der eine stellt Desinfektionsmittel auf den Schreibtisch, der andere hängt Seifenspender in die Toiletten. Die konkreteste Maßnahme ist der Mindestabstand von 1,50 m. Aber selbst wenn Firmen den nicht einhalten, dürfen sie weiterarbeiten. Der Mindestabstand ist auch das einzig Überprüfbare, falls es zum Streit käme. Insgesamt betrachtet ist der Arbeitsschutzstandard eine Käseloch-Verordnung, die rechtlich faktisch wirkungslos in Kraft ist.
Knoth: Er hätte sie in eine stabilere Form gießen können, hat es aber bewusst nicht getan, weil in einer rechtlich verbindlichen Verordnung jedes Detail hätte genau beschrieben sein müssen. Das ist nicht machbar, weil die Branchen zu unterschiedlich sind. Zum Beispiel sind in der Immobilienbranche, am Bau oder im Handel die Voraussetzungen jeweils andere. Außerdem hätten sonst die Unternehmerverbände heftig gegen die Vorgaben protestiert.
Knoth: Wenn ein Mitarbeiter die Abstandsregel permanent verletzt, wäre das aus meiner Sicht abmahnfähig. Vergessenes Händewaschen wäre es nicht.
Knoth: Es ist gut vorstellbar, dass der Mindestabstand in die Arbeitsstättenverordnung aufgenommen und so in Zukunft verpflichtend wird. Andere Maßnahmen könnten zum Beispiel über Betriebsvereinbarungen verbindlich werden.
Die Fragen stellte Monika Hillemacher.
Dieser Link führt zum vollständigen Sars-CoV-2-Arbeitsschutzstandard, den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Mitte April veröffentlicht hat: https://bit.ly/Arbeitsschutzstandard