Mit weniger als 40 Wochenstunden besetzen Nadine Otto und Lorenz Hansen zwei von drei Vorstandspositionen bei Gundlach Bau und Immobilien. Mit der Teilzeitregelung will das Unternehmen ...
Mit weniger als 40 Wochenstunden besetzen Nadine Otto und Lorenz Hansen zwei von drei Vorstandspositionen bei Gundlach Bau und Immobilien. Mit der Teilzeitregelung will das Unternehmen sichergehen, Verantwortung an genau die Kandidaten abzugeben, die am besten geeignet sind. Damit das Konzept über alle Abteilungen hinweg funktioniert, müssen Rollen klar definiert und Aufgaben priorisiert werden.
Mehr als 80% von rund 10.000 Fach- und Führungskräften aus ganz Deutschland, darunter viele aus dem Baugewerbe und der Immobilienwirtschaft, haben bei einer Umfrage des Verbands für Fach- und Führungskräfte (DFK) den Wunsch nach Führungspositionen in Teilzeit geäußert. Fast genauso viele der Befragten waren sich sicher, dass es in den kommenden Jahren ein Umdenken in vielen Unternehmen geben wird, wodurch mehr Stellen in den oberen Etagen von Fachkräften mit weniger als 40 Wochenstunden besetzt werden. DFK-Vorsitzender Nils Schmidt kann das gut nachvollziehen. Er setzt sich schon seit Jahren dafür ein, dass das klassische Vollzeitmodell für Führungspositionen gelockert wird. "Der Wunsch nach Teilzeitführung, flexiblerem Arbeiten und mobilem Arbeiten besteht schon seit längerer Zeit", spricht er vor allem aus Sicht der Arbeitnehmer. Die Corona- Pandemie sieht er nicht als Auslöser dafür, aber als treibende Kraft, über neue Arbeitsmodelle wie Jobsharing intensiver nachzudenken. Dabei könnten Aufgaben aus einer bestehenden Vollzeitstelle auf mehrere Fachkräfte aufgeteilt werden.
"Die IT- und Software-Branche ist da sehr fortschrittlich", nennt er ein Beispiel, "mir sind aber auch Unternehmen bekannt, die einen eher konservativen Führungsstil pflegen und auch hierarchischer arbeiten." Er sieht die Grundlage für Teilzeitangebote v.a. in der Unternehmensphilosophie verankert und ist sich sicher, dass individuelle Modelle eine Firma als arbeitnehmer- und familienfreundlich positionieren könnten.
Diesen Ansatz verfolgt Gundlach Bau und Immobilien in Hannover. "Wir sind selbst ein Familienunternehmen und versuchen, dass unsere Mitarbeiter Beruf und Familie in Einklang miteinander bringen können", sagt Lorenz Hansen. Als vor sieben Jahren sein Sohn geboren wurde, hat er angefangen, Stunden zu reduzieren. Mit 20 Wochenstunden kommt er als Vorstandsmitglied derzeit auf eine halbe Stelle. "Teilzeitmodelle machen Führungspositionen für Mitarbeiter attraktiver", sagt er.
Deshalb haben er und Vorstand Frank Eretge schon vor einigen Jahren die Mitarbeiterin Nadine Otto zur Prokuristin befördert, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt kurz vor dem Mutterschutz stand und angekündigt hatte, nach der Geburt nicht sofort wieder komplett einzusteigen. "Wir hatten mit Nadine Otto Großes vor. Wir haben ihr damals während ihrer Schwangerschaft die Prokura erteilt – auch als Zeichen dafür, dass wir glauben, dass das funktionieren kann", sagt Lorenz. Wenn es darum geht, eine Stelle mit einer geeigneten Kandidatin zu besetzen, sollte die Wochenstundenanzahl kein Hindernis sein.
Seit September ist Otto neben Eretge und Hansen im Vorstand. Zu dritt bilden sie die Spitze des Unternehmens, kommen aber insgesamt nur auf 2,35 Stellen. "Und das klappt gut", sagt Lorenz. "Als ich damals meine Stunden reduziert habe, war der Anfang schwer. Was ich akzeptieren musste, war, dass ich nicht das Gleiche in weniger Zeit schaffe. Deshalb musste ich Aufgaben zum Teil auch abgeben und meine Rolle somit neu definieren", erinnert er sich an seinen Eintritt in die Teilzeit.
Er sieht sich im Führungsteam als "kulturtreibenden, gesellschaftenden Leitgeber und Innovationsförderer". "Dabei nehme ich viele Termine wahr, bei denen ich das Unternehmen gegenüber Dritten vertreten muss. Auf welchen Wochentag oder welche Uhrzeit die fallen, kann ich mir in der Regel nicht aussuchen." Gerade weil er häufig zu Randzeiten und freitags etwas länger arbeiten muss, gestalte er sich die anderen Wochentage frei. "Ich arbeite sehr fluide", sagt er, "manchmal unterbreche ich meine Arbeit und gehe zum Sport oder zum Friseur", skizziert er seine Arbeitsalltag.
Otto hingegen teilt sich die operative Geschäftsführung mit Vollzeit-Vorstand Eretge. "Unsere thematische Ähnlichkeit ist unser kaufmännischer Hintergrund. Doch wir nehmen bei vielen Aufgaben unterschiedliche Blickwinkel ein. "Dadurch, dass wir uns inzwischen gut kennen, ergibt sich meistens automatisch, in wessen Zuständigkeit eine Aufgabe fällt." Trotz Teilzeit sei sie für Kollegen meist bis in den Abend hinein erreichbar. "Ich behalte mein Handy immer im Auge. Es gehört zu meiner Rolle einfach dazu, dass ich manchmal Feuerwehr spielen muss." Das Pensum schaffe sie durch Absprachen mit ihren Kollegen ohne Probleme. "Ich merke, dass ich in Teilzeit effizienter und effektiver arbeite. Ich habe gelernt, Aufgaben anders zu priorisieren."
Deshalb sind Hansen und Otto im knapp 260 Mitarbeiter starken Unternehmen nicht die einzigen, die nach individuellen Arbeitszeiten arbeiten. Fast jeder vierte Mitarbeiter kommt auf weniger als 40 Stunden. "Manche sind nur vormittags da, andere nur nachmittags oder nur an bestimmten Tagen in der Woche", beschreibt Hansen. Das ziehe sich durch alle Abteilungen und alle Positionen. Die Beweggründe für die Teilzeitarbeit seien ganz unterschiedlich. "Nicht nur die Kinderbetreuung wird dadurch einfacher. Wir haben auch Mitarbeiter, die für ihre Eltern sorgen müssen oder nicht in Vollzeit arbeiten können, weil sie sich nebenher noch fortbilden. Etwa in Form eines Studiums", sagt Hansen. "Davon profitieren wir wiederum als Unternehmen", betont er.
Es braucht eine gewisse Mindestanwesenheit
Doch vor rund vier Jahren sei das Team einmal an die Grenzen des Teilzeitangebots gekommen. "Wir mussten einsehen, dass eine gewisse Mindestanwesenheit erforderlich ist", zieht Hansen ein Fazit. Er berichtet, dass Übergaben, Terminabsprachen und Organisation zum Teil aufwendiger waren als die Arbeitsaufgaben selbst. "Das kann passieren, wenn innerhalb einer Abteilung oder eines Teams zu wenige Vollzeitkräfte auf zu viele Teilzeitkräfte kommen." Deshalb seien 20 Stunden inzwischen das Minimum für Gundlach-Mitarbeiter.
Die Besetzung offener Stellen ist kein Problem
Otto, die auch vor ihrem Eintritt in den Vorstand schon Führungsaufgaben übernommen hatte, ist überzeugt, dass eine Teilzeitkraft gerade in den Berufsbildern der Immobilienwirtschaft ein bestimmtes Mindset mitbringen muss. "Man muss sich gut organisieren können, Teamplayer sein und gleichzeitig selbstständig arbeiten. Wenn man diese Punkte mitbringt, egal ob als langjähriger Mitarbeiter oder als Externer, dann liegt das Gelingen einer Teilzeitstelle meiner Erfahrung nach nicht am System, sondern am Mitarbeiter selbst."
Probleme, Stellen mit geeignetem Personal nachzubesetzen, habe das Unternehmen nicht. "Das Teilzeitangebot spricht viele Kandidaten bei der Stellensuche an", sagt Hansen. Zudem verzeichne Gundlach keine große Mitarbeiterfluktuation. "Die Verbindung zum Unternehmen ist eine ganz andere, wenn man neben dem Beruf zum Ausgleich auch noch genug Freizeit hat. Viele Mitarbeiter macht das als Arbeitnehmer loyaler und sie bleiben lange im Betrieb."