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Variable Vergütung gibt Anreize für Fehlverhalten

Variable Vergütungsmodelle können zur Umsetzung von Compliance-Richtlinien
eingesetzt werden. Doch in der Praxis scheuen offenbar noch viele
Unternehmen den hohen Aufwand, ihr Bonussystem an die Unternehmensziele
anzupassen.

Variable Vergütungsmodelle können zur Umsetzung von Compliance-Richtlinien eingesetzt werden. Doch in der Praxis scheuen offenbar noch viele Unternehmen den hohen Aufwand, ihr Bonussystem an die Unternehmensziele anzupassen.

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Karriere 04.10.2012
Vergütung und Compliance sind zwei Aspekte, die Hand in Hand gehen sollten, zumindest bei Unternehmen, die ihre ethischen Richtlinien nicht nur für die Ablage formuliert haben. Doch selbst bei ... 

Vergütung und Compliance sind zwei Aspekte, die Hand in Hand gehen sollten, zumindest bei Unternehmen, die ihre ethischen Richtlinien nicht nur für die Ablage formuliert haben. Doch selbst bei engagierten Unternehmen hebeln die mit der variablen Vergütung gesetzten Anreize oftmals jegliche Compliance-Bemühungen aus. Sonja Riedemann, Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Osborne Clarke, appelliert in ihrem Gastbeitrag für eine zeitgemäße Gestaltung der variablen Vergütung, die konsequent auf die Unternehmensziele abgestimmt ist. Wenn Compliance-Verpflichtungen dazu zählen, müssen sie auch berücksichtigt werden, und zwar durch Boni oder Sanktionen.

Ob die Immobilienbranche einen Wertekanon benötigt hat oder ob ein solcher tatsächlich etwas ändert: Inzwischen kommt kaum ein Player im Real-Estate-Umfeld ohne das Thema Compliance aus. Insbesondere in der Immobilienbranche kann individuelles Fehlverhalten von Mitarbeitern große Auswirkungen haben, steht doch hier eine kleine Anzahl Beteiligter einem hohen Volumen pro Geschäftsvorfall gegenüber.

Galt 2002 der dem Enron-Skandal folgende Sarbanes-Oxley-Act noch als Beginn des allgemeinen Corporate-Governance-Hype, wuchs später nach weiteren Korruptionsskandalen das Bewusstsein, dass das langfristige Interesse der Anleger und Eigentümer über den eher kurzfristigen Interessen der angestellten Managementetage steht. Mit der als "Immobilienkrise" gebrandmarkten Finanzkrise 2009 erreichte dieser Trend seinen Zenit und inzwischen gehört die öffentliche und öffentlichkeitswirksame schriftliche Bestätigung, sich tatsächlich an Regeln und Gesetze halten zu wollen, zum Standard.

Je nach Größe des Unternehmens besteht die dahinterstehende Compliance-Organisation aus dem Compliance-Officer nebst Mitarbeitern - oder einem Aktenordner mit zusätzlich einzuhaltenden internen Regularien, einem so genannten Internen Kontrollsystem (IKS). Auch die Initiative Corporate Governance der deutschen Immobilienwirtschaft (ICG) verlangt "geeignete" Regeln etwa zur Verhinderung oder jedenfalls Offenlegung von Interessenkonflikten. In den Empfehlungen "Wertemanagement" geht es um verbindliche Verhaltensstandards, über die alle Mitarbeiter informiert werden sollen, die arbeitsvertraglich abgesichert sowie durch innerbetriebliche Kommunikation im Bewusstsein gehalten werden sollen.

Doch die schönsten Compliance-Formulierungen sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen, wenn sie in der unternehmerischen Praxis nicht mit Anreizen und bei groben Verstößen mit Sanktionen belegt werden. Ein Paradebeispiel für Fehlanreize sind oft die variablen Vergütungsmodelle in Unternehmen, die den Gesichtspunkt Compliance außer Acht lassen.

Variable Vergütungsmodelle fordern oft Umsatz um jeden Preis

Stammtischwissen ist, dass nur die hohen Bonus-Anreize der Banker diese zum hochriskanten "Zocken" verführt haben. Mitarbeiter, die reine Umsatzprovisionen verdienen können, ohne dass Kosten oder Risiken einberechnet werden, müssen dieses Signal ihres Arbeitgebers als das verstehen, was es ist: als einen Aufruf, Umsatz "um jeden Preis" zu machen.

Hat hier die Einführung von Compliance inzwischen tatsächlich zu geänderten Verhaltensanreizen geführt? Zwar bestehen heutzutage Verbote, etwaige Geschenke oder jedenfalls solche im Übermaß anzunehmen. Ein bewusster Verstoß zieht oft maximal eine Abmahnung, fahrlässige Verstöße meistens aber gar keine Sanktion oder nicht einmal eine Reaktion nach sich. Bonus oder Provisionen fließen in unveränderter Höhe weiter. Es gibt also einen Widerstreit zwischen Compliance-Verstößen, die oft keine monetären, sondern ausschließlich rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen auf der einen Seite, und variablen Vergütungsmodellen, die in der Praxis im besten Fall neutral zu den Compliance-Vorschriften und schlimmstenfalls gegenläufig dazu wirken auf der anderen Seite. Diese nicht selten offen widersprüchlichen Anreiz- und Sanktionsmechanismen werden in vielen Unternehmen nicht offen thematisiert - und die Mitarbeiter werden mit den daraus resultierenden Interessenkonflikten allein gelassen.

Kaum rechtliche Vorgaben für Vergütungsmodelle

Rechtliche Vorgaben, wie variable Vergütungen zu gestalten sind, gibt es für die Vorstände von börsennotierten Aktiengesellschaften (VorstAG) oder sind im Nachgang der Finanzkrise für den Bankensektor mit der Instituts-Vergütungsverordnung (ehemals MaRisk) entstanden. Andere oder gar konkretere Compliance-Anforderungen für die Immobilienbranche gibt es bisher nicht. Die bestehende arbeitsrechtliche Rechtsprechung zur variablen Vergütung steht auf der Seite der Mitarbeiter und betont deren faire Chance, in Aussicht gestellte Vergütung auch erreichen zu können sowie zugesagte Vergütung nicht einseitig entzogen zu bekommen.

Die Personalabteilung hat zwar oft eine Schlüsselstellung in der Umsetzung von Compliance, aber keine gestaltende. Die dortigen Mitarbeiter/innen müssen allen anderen Kollegen zahllose Unterschriften unter noch zahllosere Compliance-Richtlinien abringen. Compliance-Regelungen wurden also oft nur als zusätzliche Verpflichtung eingeführt, ohne bisherige Systeme "compliant" umzugestalten.

Unternehmen möchten gerne die Motivationsfunktion variabler Vergütung nutzen, sind sich aber der Steuerungsfunktion zu wenig bewusst. Oder sie scheuen gerade deswegen "komplizierte" Modelle unter Einbeziehung multipler Risikofaktoren und Compliancekriterien, da komplexe Modelle angeblich dem einfachen Motivationsanreiz entgegenstehen. Wenn aber Vorgesetzte schon dafür, dass ihre Mitarbeiter ihre Pflicht erfüllen, den Anreiz zusätzlicher Vergütung benötigen, wieso sollen dann sanktionslose Compliancevorschriften eingehalten werden?

Die Vergütungsform, bei der am wenigsten Fehlanreize gesetzt werden, ist das reine Festgehalt. Ebenso wie die Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmenserfolg, der unabhängig von individueller Performance an die Belegschaft ausgeschüttet wird. Beides wird nur noch selten genutzt.

In Immobilienverkauf und Vermietung sind Provisionsmodelle an der Tagesordnung. Sie reichen von einfachen Umsatzprovisionen bis zu komplexeren Modellen unter Einberechnung etwaiger Langfrist- und Risikofaktoren. Aber einfache Bonusbezugsgrößen wie die Brutto- oder Nettomiete haben möglicherweise unerwünschte Steuerungswirkungen. Werden zumindest Wertberichtigungen oder Abschreibungen auf Mietforderungen zeitnah berücksichtigt, besteht immerhin kein falscher Anreiz der Vermietung "um jeden Preis". Auch unterschiedliche Ausformungen so genannter Rent Incentives sind für das Unternehmen keineswegs kostenneutral und sollten daher bei der Berechnung von Erfolgshonoraren berücksichtigt werden. Mietreduzierte oder gar mietfreie Zeiten für neue oder verlängerte Mietverträge, (verlorene) Baukostenzuschüsse oder eigene Investitionen zum mietergerechten Umbau sind aber nicht auf die Schnelle vergleichbar. Sie bedürfen vielmehr jeweils einer finanziellen, bilanziellen, steuer- und haftungsrechtlichen Überprüfung durch das Immobilienunternehmen, um negative Effekte für die Zukunft zu vermeiden. Sie verdienen daher dringend Berücksichtigung bei Bonusbezugsgrößen. Fehlen diese, ist den handelnden Mitarbeitern weder moralisch zu verdenken, noch arbeitsrechtlich anzulasten, wenn sie ihr Verhalten den vom Arbeitgeber allein über den Bonusanreiz vorgegebenen Zielen anpassen.

Dagegen helfen auch keine wohlklingenden Compliance-Regularien ohne direkte finanzielle Motivationen oder gar Sanktionen, wenn nicht vielmehr sämtliche Prozesse im Unternehmen auf die erwünschten Verhaltensweisen und Entscheidungspfade gerichtet sind. Dies betrifft insbesondere die variablen Vergütungsmodelle. Viele Mitarbeiter kennen kaum die internen Kontrollvorschriften, aber können jedes noch so kleine Detail der exakten Berechnungsweise des Bonusmodells aufsagen. Liegt hierin nicht ein ungenutztes "pädagogisches Potenzial"? Eine direkte finanzielle Belohnung regelkonformen Verhaltens oder die Sanktion von Verstößen anstatt reiner Appelle - so funktioniert in großen Unternehmen sogar die Erhöhung der Frauenquote im Management durch sonst weniger feministisch geprägte männliche Vorgesetzte.

Engagement der Personaler gefordert

Bei der Umgestaltung variabler Vergütung können sich Personaler in ganzer Linie auch gestaltend einbringen und alle erwünschten arbeitsrechtlichen und personalpolitischen Anreize einrechnen. Dem üblichen "Umsatz abzüglich Kosten abzüglich drohender Kosten aller Art mal Risikofaktor mal Langfristigkeitsfaktor" können auch "abzüglich X Prozent für jeden fehlenden 6-Augen-Check" oder Zusatzpunkte für positive individuelle, nicht-monetäre Performance hinzugefügt werden. Die Ergebnisse eines 360- Grad-Feedbacks oder der tatsächliche Abzug der gesetzlichen Minderungsbeträge für (zu) lange Krankheitsfehlzeiten könnten ebenso eingewoben werden wie Pluspunkte für eine offene Fehlerkultur, gerade um Vertuschen von Fehlverhalten nicht zu befördern. Ob man auch Sanktionen für jeden AGG-Verstoß (nach dem Motto "10 Euro in die Machokasse") aufnimmt, bleibt der Kreativität und den auf Managementebene erarbeiteten, tatsächlichen Bedürfnissen des Unternehmens vorbehalten.

Aus rechtlicher Sicht spricht nichts gegen komplexe Regeln: Solange solche Modelle transparent gestaltet sind und zulässiges, gesetzeskonformes und loyales Verhalten befördern, stehen arbeitsrechtliche Vorschriften nicht entgegen. Oft liegt es an mangelnder Kreativität oder an der Scheu vor dem (einmaligen großen) Aufwand, wenn Unternehmen ihr Bonussystem nicht an ihre Unternehmensziele anpassen. Aber auch aus Haftungsgründen empfiehlt sich eine Umgestaltung: Mit Hinweis auf die Leitfunktionen der variablen Vergütung könnten Mitarbeiter derzeit durchaus eine Mitschuld der Unternehmen bei etwaigem Fehlverhalten behaupten und so versuchen, sich selbst aus der Haftung zu entlassen.

Wer nun instinktiv eine "derart engmaschige Überwachung" abwehren will, hat seine eigene Complianceorganisation noch nicht verinnerlicht: Allein das Aufschreiben von Werten und Regeln ändert faktisch nichts. Es muss auch tatsächlich geeignete Systeme geben, die erwünschtes Verhalten fördern und unerwünschtes Verhalten wenn schon nicht verhindern, dann jedenfalls sanktionieren. Welcher Hebel eignet sich dafür besser als die Vergütung? (sma)

Sonja Riedemann