Kein Unternehmen kann es sich heute noch leisten, auf Nachhaltigkeit zu pfeifen. Weil die Gewinne in der Immobilienbranche aber weiter sprudeln, tun viele so, als gingen sie Themen wie ...
Kein Unternehmen kann es sich heute noch leisten, auf Nachhaltigkeit zu pfeifen. Weil die Gewinne in der Immobilienbranche aber weiter sprudeln, tun viele so, als gingen sie Themen wie Klimawandel oder gesellschaftliche Verantwortung nichts an. Wem das zu weit weg ist, kann damit anfangen, Boni zeitlich zu strecken. So wird es für Mitarbeiter wichtiger, dass Kunden dauerhafte Freude an ihren Leistungen haben.
Unsere Gesellschaft befindet sich in einem massiven Umbruch. Neue Wertehaltungen stellen Wirtschaft und Politik vor große Herausforderungen. Der Ruf nach verantwortungsvollem Umgang mit den natürlichen Ressourcen und nach sozialer Gerechtigkeit wird immer lauter. Unternehmen und Top-Führungskräfte stehen zunehmend in der Kritik, das Prinzip der Gewinnmaximierung und exorbitante Manager-Gehälter werden immer öfter infrage gestellt. Die Immobilienwirtschaft als tragende Säule der deutschen Volkswirtschaft und als Anbieter von ‚Erlebens-Räumen‘ steht im Fokus all der oben genannten Themen."
Diese Worte stehen nicht etwa in der linksgerichteten Berliner Zeitung taz, sondern in der Präambel einer buchstäblich brandaktuellen Publikation des - einer linken Haltung unverdächtigen - Instituts für Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft (ICG): "Nachhaltige Management- und Kompensationssysteme". Untertitel: "Ein innovativer Praktiker-Leitfaden für die Immobilienwirtschaft".
Steht die Immobilienbranche auch "im Fokus" der oben skizzierten Herausforderungen, sie hat es offenbar bis auf die eine oder andere Ausnahme noch nicht recht begriffen. Dem Ruf des ICG zur Vorstellung des Leitfadens, in dem zweieinhalb Jahre Arbeit stecken, waren in der vergangenen Woche nur rund zwei Dutzend Menschen, Schrägstrich: Unternehmen, gefolgt - ICG-Vertreter und Teilnehmer der Plenumsdiskussionen eingerechnet. Diese sprechen denn auch von einer "erstaunlich geringen", "enttäuschenden" Resonanz.
Werner Knips, Partner bei der Personalberatung Heidrick & Struggles und stellvertretender Vorstandsvorsitzender des ICG, bilanziert: "Viele haben den Schuss noch nicht gehört." Frank Billand, früher Investmentchef von Union Investment Real Estate und zusammen mit Knips Leiter der Arbeitsgruppe Nachhaltige Management- und Kompensationssysteme, hat eine Erklärung parat: "Die Immobilienbranche ist seit zehn Jahren in Partylaune. Welche Branche hat noch so ein Umfeld wie wir dank des Niedrigzinses der EZB? Fast jeder kann hier tolle Geschäfte machen."
Maximaler Profit hat als Richtschnur ausgedient
Dabei gäbe es für alle Immobilienunternehmen der Gründe genug, sich schon heute zu hinterfragen: Klimawandel (Fridays for Future), gesellschaftliche Verantwortung (Mietendeckel, Enteigungsdebatte), Handelskrieg zwischen den USA und China. "Wichtig ist, dass Eigentümer und Management sich darüber klarwerden: Warum soll es uns in fünf oder zehn Jahren noch geben? Was ist unser Beitrag für die Gesellschaft, unsere Mitarbeiter und Shareholder?", rät Knips und konstatiert: "Diese Fragen haben sich bisher wenige Unternehmen gestellt."
Wer Denkanstöße braucht, dem helfen die Väter des Leitfadens gern auf die Sprünge: Ausgedient habe der Shareholder Value, angesagt sei der Stakeholder Value - inklusive Verzicht auf maximale Profite, sagt Knips. Der Regulierungsdruck auf den Immobiliensektor werde beträchtlich zunehmen, ergänzt Billand. Jüngstes Beispiel: Der "Sustainable Finance Action Plan", mit dem die EU einer nachhaltigen Finanzierungs- und Investmentkultur mit sanftem Druck auf die Sprünge helfen will. "Wer sich hierauf nicht einstellt, wird vom Markt verschwinden. Manche Investoren kaufen heute schon nur noch zertifizierte Immobilien."
Sich Nachhaltigkeitsziele auf die Fahnen zu schreiben, reicht allein nicht. Irgendjemand muss sie auch umsetzen. Hier kommen die Mitarbeiter ins Spiel. Vor allem diejenigen mit Vorbild- und Leitfunktion: Im Zweifel, findet Knips, sollten sich Unternehmen von "Toptradern und Dealjunkies", die einfach nur und zu jedem Preis (möglichst viel) Geld verdienen wollen, trennen. Stattdessen sollten sie besser auf solche Führungskräfte setzen, die eine Kultur schaffen, in der nicht alles über "extrinsische Motivation" läuft, und ihre Leute mitziehen. Mehr als Geld zieht, verspricht Knips, z.B. "Selbstwirksamkeit", also das Gefühl, die Welt in seinem Mikrokosmos ein kleines Stück weit verändern zu können.
Wem die gesellschaftliche Verantwortung zu weit weg ist, könnte ja damit anfangen, den nachhaltigen Nutzen des Kunden zum Leitstern seines Handelns zu machen - und dies auch zur Richtschnur seines Vergütungssystems zu erklären. Die Hamburger Investmentgesellschaft Aquila Capital etwa, die u.a. Fonds für erneuerbare Energien auflegt und ihren Anlegern bezahlbare Wohnungen und grüne Logistikimmobilien bietet, streckt die Auszahlung von Boni auf bis zu fünf Jahre.
Jetzt den Deal und nach mir die Sintflut - so nicht!
Sinn und Zweck der Übung: Die Denke "Ich mache jetzt den Deal und nach mir die Sintflut" aus den Köpfen fernzuhalten, wie Michaela Maria Eder von Grafenstein, Executive Board Member von Aquila Capital, erläutert. Der Kunde, sprich: Investor, soll schließlich möglichst lange Freude an seinem Windpark oder seinem Wasserkraftwerk, seiner Logistikimmobilie oder seiner Wohnanlage haben. Und die (pekuniären) Interessen des Mitarbeiters an diejenigen des Anlegers zu binden, erhöhe die Wahrscheinlichkeit, Letzteren nachhaltig glücklich zu machen.
Einen grundsätzlichen Verzicht auf Boni hält Eder von Grafenstein für den falschen Weg: "Unsere Leute wollen performen, da ist ein pekuniärer Anreiz wichtig." Eine variable, nach transparenten Kriterien an die Leistung gekoppelte Vergütung ist jedoch nur Mittel zum Zweck: "Für ESG-Themen braucht man auch den richtigen Typus Mensch. Die Leute, die zu uns kommen, tun das wegen unseres Geschäftsmodells, nicht wegen des Geldes." ESG ist die Abkürzung für Environmental Social Governance, also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung.
Die Aquila-Gruppe, erklärt die Managerin, sei seit 2006 "komplett klimaneutral" unterwegs. Und das gilt buchstäblich: Eder von Grafenstein und ihre Kollegen sind Vielflieger, weil das Hamburger Unternehmen vor allem im Ausland aktiv ist und nicht zuletzt in Südeuropa baut. "Wenn ich fliege, werden dafür CO2-Zertifikate gekauft", erläutert die Sprecherin der Geschäftsleitung. Und dies sei nur einer von vielen Bausteinen der Klimaneutralität.
In Richtung Klimaneutralität steuert auch Unibail-Rodamco-Westfield (URW). Der börsennotierte französische Shoppingcenterkonzern hat sich u.a. vorgenommen, die CO2-Emissionen aus dem Bau und Betrieb der Einkaufszentren bis 2030 um 50% zu senken. Seine Mieter versucht URW über Verträge mitzunehmen, in denen sich diese selbst zu nachhaltigem Handeln verpflichten. "Unsere Vermieter haben CSR-Ziele (Anm. d. Red.: CSR ist die Abkürzung für Corporate Social Responsibility, also unternehmerische Sozialverantwortung), z.B. die Anzahl von Green-Lease-Verträgen, die sie mit den Mietern verhandeln. Dazu gehört auch, dass sie die Vorteile von LED-Beleuchtung oder vorsortiertem Müll darstellen, etwa niedrigere Nebenkosten", sagt Bruno Bittis, URW-Personalchef in Deutschland. Um die Leasing Manager nicht zu demotivieren, sei es "nicht unmittelbar vergütungsrelevant, wie viele Green Leases ein Vermietungsmanager schafft".
Billand lässt im Leitfaden tief in die Vergütungspraxis bei Union Investment blicken. Der springende Punkt des vor rund zehn Jahren eingeführten Vergütungssystems: Die Führungskräfte und ein Teil der Mitarbeiter werden "ein Stück weit ins unternehmerische Risiko gezogen. Sie setzen einen Teil ihres Gehalts aufs Spiel, können aber auch entsprechend dazugewinnen." Das Spannende dabei: Der Mitarbeiter kann mitentscheiden, wie hoch der variable Anteil sein soll. Die Höhe der Leistungszulage hängt von zuvor individuell vereinbarten Zielen ab. Dabei gilt: "Die Ziele müssen ehrgeizig sein, aber nicht unerreichbar." Einen kleinen Haken hat die Sache: Die Mitarbeiter können sich nicht solche Ziele herauspicken, die sie selbst zu 100% beeinflussen können.
Um bei einem solchen Vergütungssystem ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Mitarbeiter und Vorgesetzten zu etablieren und auf Dauer zu erhalten, müssen alle Bewertungskomponenten transparent und nachvollziehbar sein. Daraus abzuleiten, dass nur monetär messbare, skalierbare Ziele wie die erzielte Rendite, das investierte Kapital oder vermietete Flächen in die Vereinbarung einfließen können, wäre ein Kurzschluss. Vielmehr ist eine Führungskraft auch für ein gutes Betriebsklima, motivierte Mitarbeiter und zufriedene Kunden verantwortlich - und dafür, betont Billand, gibt es durchaus Indikatoren, etwa "wenn eine Führungskraft nur Mittelmaß um sich versammelt und die guten Leute wieder verschwinden oder sich nicht weiterentwickeln."